Das Sigma-Protokoll
Klappstuhl neben ihr saß ein Schrank von einem Kerl, der stumm vor sich hinbrütend eine Casablanca nach der anderen
qualmte. Er hatte sich als Inspektor Walter Heisler vom Sicherheitsbüro der Wiener Polizei vorgestellt.
Nachdem sie ihn eine halbe Stunde verhört hatten, wurde Ben allmählich ärgerlich. Er hatte versucht, vernünftig und rational jede Frage zu beantworten, doch die beiden gaben sich nicht zufrieden. »Bin ich jetzt verhaftet oder was?«, fragte er schließlich aufgebracht.
»Das können Sie gerne haben«, blaffte Anna Navarro ihn an.
»Hat sie das Recht, so mit mir umzuspringen?«, fragte Ben den bulligen Wiener Polizisten, der jedoch ungerührt an seiner Zigarette zog und ihn wie ein Ochse anstierte.
Stille.
»Wer ist der verantwortliche Beamte hier?«, fragte Ben.
»Wenn Sie meine Fragen beantworten, besteht kein Grund, Sie zu verhaften«, sagte Anna Navarro. »Noch nicht.«
»Dann kann ich also gehen?«
»Sie bleiben, bis unsere Fragen zu unserer Zufriedenheit beantwortet sind. Warum haben Sie Jürgen Lenz besucht? Sie haben uns das noch nicht einleuchtend erklärt.«
»Wie gesagt, es war ein reiner Höflichkeitsbesuch. Fragen Sie ihn doch selbst.«
»Sind Sie geschäftlich oder privat in Wien?«
»Beides.«
»Sie haben keine Termine hier. Pflegen Sie so Ihre Geschäftsreisen zu planen?«
»Ich entscheide mich gern spontan.«
»Sie hatten fünf Tage in einem Sporthotel in den Schweizer Alpen gebucht, sind aber nie dort aufgetaucht.«
»Ich habe umdisponiert.«
»Warum fällt es mir bloß so schwer, das zu glauben?«
»Keine Ahnung. Ich hatte plötzlich Lust auf Wien.«
»Sie sind also nach Wien gefahren ohne Hotelreservierung?«
»Wie gesagt - ich entscheide mich gern spontan.«
»Verstehe«, sagte Agent Navarro, die allmählich nicht mehr weiter wusste. »Was hatte es mit Ihrem Besuch in Zürich auf sich? War das ein geschäftlicher Termin bei Gaston Rossignol?«
Verdammt! Woher wusste sie das? Er musste sich zusammenreißen, um der aufkommenden Panik Herr zu werden.
»Er war der Freund eines Freundes.«
»Merkwürdig. Sie töten den Freund eines Freundes?«
O Gott. »Er war schon tot, als ich ankam.«
»Ach ja?« Agent Navarro schaute ihn zweifelnd an. »Hatte er Sie erwartet?«
»Nein. Ich bin auf gut Glück hingefahren.«
»Natürlich, Sie entscheiden sich gern spontan, nicht wahr?«
»Ich wollte ihn überraschen.«
»Stattdessen hat er Sie überrascht.«
»Ja. Es war ein ziemlicher Schock.«
»Woher kennen Sie Rossignol? Wer hat den Kontakt hergestellt?«
Ben zögerte eine Sekunde zu lang. »Dazu möchte ich nichts sagen.«
Sie fasste nach. »Weil Sie ihn vorher gar nicht kannten? In welcher Verbindung stand Rossignol zu Ihrem Vater?«
Was sollte das jetzt wieder heißen? Was wusste sie? Ben schaute Agent Navarro neugierig an.
»Eins können Sie mir glauben«, erklärte Anna Navarro trocken. »Typen wie Sie kenne ich zur Genüge. Reicher Bengel, der immer alles kriegt, was er will. Und wenn man mal Bockmist baut, dann haut einen der Daddy oder der Anwalt der Familie wieder raus. Typen wie Sie sind einfach daran gewöhnt, dass sie sich alles erlauben können und nie die Zeche zahlen müssen. Aber damit ist jetzt Schluss. Nicht mit mir, Freundchen.«
Ben musste unwillkürlich lächeln, hielt aber den Mund. Die Genugtuung eines Streits wollte er ihr nicht gönnen.
»Ihr Vater ist ein Überlebender des Holocaust. Stimmt das?«
Sie wusste doch nicht alles!
Ben zuckte mit den Schultern. »Soweit ich weiß.« Sie hatte ganz sicher kein Anrecht auf die Wahrheit.
»Und Rossignol war früher einer der führenden Bankiers in der Schweiz. Richtig?« Sie musterte ihn scharf.
Worauf wollte sie hinaus? »Haben Sie und die österreichische Polizei Lenz’ Haus überwacht, um mich zu verhaften?«, fragte er.
»Nein«, entgegnete sie kühl. »Wir wollten eigentlich nur mit Ihnen reden.«
»Warum haben Sie mich nicht einfach gefragt? Dafür hätten Sie nicht die halbe Polizeitruppe Wiens gebraucht. Schätze, Sie würden mir den Mord an Rossignol nur zu gern in die Schuhe schieben. Dann wäre die CIA aus dem Schneider, stimmt’s? Oder habt Ihr es nicht mehr miteinander - Justizministerium und CIA?«
Agent Navarro beugte sich vor. Ihre weichen braunen Augen waren auf einmal glashart. »Warum hatten Sie eine Waffe bei sich?«
Ben zögerte einen Moment. »Zu meinem Schutz.«
»Tatsächlich?« Das war weniger eine Frage als Ausdruck ihres Zweifels. »Sind Sie
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