Das Sigma-Protokoll
berechtigt, in Österreich eine Waffe zu tragen?«
»Ich glaube, das ist eine Angelegenheit zwischen mir und den österreichischen Behörden.«
»Ein Vertreter der österreichischen Behörden sitzt hier neben mir. Falls er sich dazu entschließen sollte, Sie wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu verhaften, werde ich ihn nicht daran hindern. Wenn ausländische Besucher in ihrem Land verbotenerweise Waffen tragen, verstehen die Österreicher überhaupt keinen Spaß.«
Ben zuckte mit den Schultern. Damit konnten sie ihn natürlich festnageln. Allerdings war das die geringste seiner Sorgen.
»Damit wir uns verstehen, Mr. Hartman«, sagte Agent Navarro. »Dass Sie für den Besuch beim Freund eines Freundes eine Waffe mitnehmen, kann ich nur sehr schwer nachvollziehen. Zumal Rossignols Haus voll mit ihren Fingerabdrücken ist. Haben Sie mich verstanden?«
»Nein, nicht ganz. Glauben Sie etwa, dass ich Rossignol umgebracht habe? Wenn ja, warum sagen Sie es mir dann nicht ins Gesicht?« Er konnte kaum noch atmen, seine Anspannung wuchs mit jeder Minute.
»Die Schweizer sind der Ansicht, dass Ihr Bruder auf einem Rachefeldzug gegen die großen Schweizer Banken war. Vielleicht ist nach seinem Tod etwas in Ihnen zerbrochen. Vielleicht haben Sie seine Vendetta auf einer persönlichen, todbringenden Ebene weiter betrieben. Ein ziemlich plausibles Motiv, scheint mir. Und da sind ja noch die Fingerabdrücke. Ein Schweizer Gericht würde dieser Argumentation sicher einiges abgewinnen.«
Glaubte sie wirklich, dass er Rossignols Mörder war? Und wenn ja, was interessierte das eine Sonderermittlerin des amerikanischen Justizministeriums? Er hatte keine Ahnung, wie weit ihre Befugnisse reichten oder welcher Art die Schwierigkeiten waren, in denen er steckte. Allein diese Ungewissheit jagte ihm Angst ein. Lass dich nicht in die Ecke drängen, sagte er sich. Wehr dich! Kämpfe!
Ben richtete sich auf. »Sie haben keinerlei Amtsgewalt hier.«
»Völlig richtig. Die brauche ich auch gar nicht.«
Was meinte sie damit? »Was genau wollen Sie von mir?«
»Ich will Informationen. Ich will wissen, warum Sie wirklich bei Rossignol waren. Warum Sie wirklich bei Jürgen Lenz waren. Was Sie wirklich wollen, Mr. Hartman.«
»Und wenn ich auf eine Zusammenarbeit verzichte?« Er versuchte, ihr den Selbstbewussten vorzuspielen.
Sie reckte ihm den Kopf entgegen. »Wollen Sie es ausprobieren? Von mir aus können Sie ein bisschen am Rad drehen. Vielleicht haben Sie Glück.«
Sie ist verdammt gut, dachte Ben. Er atmete tief durch. Der Raum kam ihm auf einmal kleiner vor. Er schaute sie ausdruckslos an.
»Wissen Sie eigentlich, dass man in Zürich einen Haftbefehl gegen Sie hat?«
Ben hob die Schultern. »Lächerlich.« Er beschloss, dass es an der Zeit war, auf aggressiv, beleidigt und großkotzig umzuschalten. Auf den typischen Amerikaner, der sich ungerecht behandelt fühlte. »Möglicherweise kenne ich mich mit den Schweizern ein bisschen besser aus als Sie. Einerseits halten sie dir schon einen Haftbefehl unter die Nase, wenn du nur auf die Straße spuckst. Andererseits liegt die Chance, dass die Österreicher mich an die Schweiz ausliefern, exakt bei Null komma Null.« So viel hatte er noch behalten von seinen Telefonaten mit Howie. »Der Kanton Zürich hat schon genug Schwierigkeiten, um nur die Polizeibehörden der anderen Schweizer Kantone zur Zusammenarbeit zu bewegen. Außerdem hat die Schweizer Gastfreundschaft für Steuerflüchtlinge zur Folge, dass Schweizer Auslieferungsersuche an andere Länder in der Regel im Papierkorb landen.« Das waren Howies Worte, die er jetzt mit stoischem Gleichmut vortrug.
Wahrscheinlich wusste sie ohnehin, dass sie so keine Chance hatte. »Die Züricher Bullen wollen mich vernehmen, mehr nicht. Die schützen noch nicht mal vor, einen handfesten Fall zu haben. Also, was ist? Wollen wir den Scheiß nicht endlich begraben?«
Sie beugte sich noch weiter zu ihm vor. »Dass Ihr Bruder gegen Schweizer Banken vor Gericht ziehen wollte, lässt sich belegen. Gaston Rossignol war eine der herausragenden Figuren der Szene. Sie besuchen ihn, und jetzt ist er tot. Nur zur Erinnerung. Dann tauchen Sie plötzlich in Wien auf und besuchen den Sohn eines berüchtigten Nazis. Und Ihr Vater war im KZ. Sieht verdammt nach einem Rachefeldzug aus, den Sie da durchziehen.«
So sah sie das also. Vielleicht gar nicht mal unlogisch für jemanden, der die Wahrheit nicht kannte. Aber die Wahrheit kann ich ihr nicht
Weitere Kostenlose Bücher