Das Sigma-Protokoll
Aktionen nutzen konnten. Und wenn sie mit der nötigen Vorsicht vorgingen,
würden die Nazis nicht mal ahnen, wie sie das alles bewerkstelligten.
Die Widerstandsgruppe schaffte Dutzende von Gefangenen aus dem Schloss, ohne dass die Nazis je dahinter kamen, wie das überhaupt möglich gewesen war.
Fritz Neumann hatte seinen Eltern und deren Freunden als achtjähriger Junge geholfen, und er hatte die verschlungenen unterirdischen Wege bis heute in seinem Gehirn gespeichert.
Als Erster verließ Fritz Neumann den Skilift, Ben folgte ihm dichtauf. Das Skigebiet lag auf der Nordseite des Berges, das Schloss auf der Südseite. Neumann sagte, dass es von hier aus einfacher sei, den Höhleneingang zu erreichen.
Sie fuhren Tourenskier: Zum Langlaufen konnte man die Fersenarretierung lösen, zur Abfahrt wieder einklinken. Noch wichtiger war, dass man in den Bindungen anstatt Skischuhen auch Bergsteigerstiefel tragen konnte. Neumann hatte sie beide komplett ausgerüstet: mit flexiblen zwölf-Zack-Steigeisen für hartes Eis, Petzl-Stirnlampen und Eispickeln mit Handschlaufen, mit Klettergurten, Haken und Karabinern.
Das Sportgeschäft hatte alles am Lager gehabt.
Die Waffen auf Bens Wunschzettel waren nicht so leicht aufzutreiben gewesen. Doch da sie sich in Jagdgebiet befanden, hatten nicht wenige von Neumanns Freunden Pistolen und Schrotflinten im Schrank. Einer lieh ihnen schließlich, was sie brauchten.
Sie trugen wollene Sturmhauben, winddichte Hosen und Gamaschen, dünne Polyesterhandschuhe und Tourenrucksäcke, als sie auf Skiern von der Liftstation zum Gipfel aufstiegen. Oben angelangt, arretierten sie die Bindungen und fuhren auf der Südseite des Berges ab. Ben hielt sich zwar für einen guten Skifahrer, konnte Neumann aber nur mit Mühe folgen. Elegant zog der wesentlich ältere Mann seine Spuren durch den jungfräulichen Schnee. Schon nach wenigen Sekunden brannte Ben vom eisigen Fahrtwind das Gesicht. Mit traumhafter Sicherheit schlängelte sich Neumann den Berg hinunter, bis Ben die roten Farbtupfer an den Tannen bemerkte, die anscheinend einen Weg markierten.
Nach etwa zwanzig Minuten versperrte ihnen eine tiefe Schlucht die Weiterfahrt. Sie hielten an, schnallten die Skier ab und versteckten sie etwa drei Meter von der Felskante entfernt im Unterholz.
»Der Rest bis zum Höhleneingang wird ein bisschen schwierig«, sagte Neumann. »Wir müssen uns abseilen.«
Ben nickte und schaute über die Felskante nach unten. Etwa dreißig Meter, schätzte er. Vielleicht etwas weniger. Man konnte schon das Schloss sehen. Von hier oben sah es aus wie ein Architekturmodell.
Neumann holte ein elastisches Nylonseil aus dem Rucksack. »Elf Millimeter Durchmesser«, sagte er. »Das reicht locker.«
Ben nickte. Für die Höhe genau richtig, dachte er. Für jede Höhe, wenn es ihn nur Anna näher brachte.
Von ihrem Standpunkt aus konnte man den Höhleneingang nicht sehen. Wahrscheinlich befand er sich direkt unter ihnen in der Felswand.
Neumann kniete sich an der Kante auf den Boden, zog einen Felshammer aus dem Hammerköcher an seinem Gürtel und fing an, Haken in den Fels zu schlagen. Je tiefer er den Haken in den Fels trieb, desto heller wurde das klirrende Geräusch, das bei jedem Schlag ertönte: ein Zeichen dafür, dass der Haken sicher im Fels saß.
Er schlang das Seil um einen großen Felsen und zog es durch die Haken.
»Ist nicht so einfach«, sagte Neumann. »Wir müssen uns runterlassen und quasi in den Eingang hineinschwingen. Jetzt brauchen wir die Steigeisen und die Klettergurte.«
»Und die Eispickel?«
»Später«, sagte er. »Hier draußen gibt’s fast kein Eis. Erst in der Höhle.«
»In der Höhle gibt’s Eis?«
Neumann antwortete nicht, sondern hantierte weiter mit der Ausrüstung.
Die Höhlen, die Ben und Peter einst am Greenbriar erkundet hatten, waren kaum mehr als trockene Kriechgänge gewesen. Mit Eis hatte er keinerlei Erfahrung.
Er spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Bis jetzt hatte
ihn das Adrenalin vorwärts getrieben, die Fokussierung auf ein einziges Ziel: Anna aus Lenz’ Klinik herauszuholen.
Doch jetzt hatte er auf einmal Angst. Er fragte sich, ob das wirklich der richtige Weg war. Für einen erfahrenen Bergsteiger wie ihn war die Kletterpassage nicht sonderlich gefährlich. Aber in Höhlen waren schon wesentlich erfahrenere Kletterer umgekommen.
Doch er hatte keine Wahl, die Höhlen waren seine einzige Chance. Die Möglichkeit, es mit den Wachen des Haupttors
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