Das silberne Schiff - [Roman]
mich auf die Suche nach Kayleen machen.
Liam kam heraus. Er war ganz schlicht in einen hellgrünen Hanfkittel und braune Hosen gekleidet. Genauso wie ich war er einen Kopf größer als die meisten ursprünglichen Menschen auf Fremont. Blondes Haar hing ihm über die dunklen Augen, und ein langer Zopf schlängelte sich seinen Rücken hinab bis fast zur Hüfte. Sein Gesicht zeigte ein warmes Grinsen, sobald er mich sah. Ich antwortete ihm auf dieselbe Weise, und sogleich fühlte es sich wieder an, als wären wir ein miteinander verbundenes Wesen, genauso wie während des Tanzes.
»Das haben wir toll gemacht!« In seiner Stimme schwangen Stolz und Zufriedenheit mit, als er nach meinem Arm griff. »Vater sagte, er hätte uns vom Hügel aus beobachtet. Er dachte, wir würden die ganze Nacht durchtanzen.«
»Auch ich dachte, du würdest gar nicht mehr aufhören«, neckte ich ihn. »Ich dachte, wir tanzen so lange weiter, bis einer von uns umfällt.«
Er lachte, aber nicht wie beim Tanz, sondern sanft und leise. »Schließlich mussten wir die Trommler schonen.«
»Oder uns selbst.« Ich ließ mich kurz von ihm umarmen, drängte ihn aber gleich wieder zurück, um mich nicht in der Berührung zu verlieren. »Lass uns Kayleen suchen. Ich mache mir Sorgen um sie. Gestern wirkte sie so …« Ich suchte nach dem richtigen Wort. »… so lustlos. Sie war überhaupt nicht begeistert von den Landkarten, die wir auf dem Weg hierher in der Höhle gefunden haben, und sie hat mich kaum eines Blickes gewürdigt.«
Er legte mir eine Hand auf die Schulter und blickte an mir vorbei, als wäre er geistig abwesend. »Sie ist hier gefangen. Wir sind frei.«
Für einen kurzen Moment war ich froh, dass sie den Tanz nicht gesehen hatte. Dann machte mir dieser Gedanke ein schlechtes Gewissen und ließ mich erschaudern. »Lass uns gehen.« Ich drückte seine Hand.
Seite an Seite liefen wir von unserem Lager im Kleinen Samtpark zur Stadt. Der Samtfluss strömte rechts von uns hinter einer kleinen Böschung, gefüllt mit winterlichem Schmelzwasser und in der zunehmenden Dunkelheit singend. Hier konnten wir ungehindert laufen, ohne jedes Geräusch darauf prüfen zu müssen, ob es auf eine der vielen Gefahren der Wildnis hindeutete.
Zwillingsbäume, Samtahorn und Rotbeerenbüsche säumten den Weg und streckten ihre neuen Frühlingstriebe aus, um wie jedes Jahr zu versuchen, den Teil von Fremont zurückzuerobern, den die Menschen gezähmt hatten. Nachtvögel zwitscherten und riefen sich gegenseitig.
Kayleen lebte immer noch mit Paloma in einem der Vierfamilienhäuser nicht weit vom Stadtpark. Als ich an ihre Tür klopfte, öffnete Paloma. Sie roch nach Frühlingsminze und Rotbeeren. »Chelo und Liam! Kommt herein. Wie geht es euch?«
»Gut«, sagte Liam.
Als ich im Eingang stand, erinnerte ich mich an die hundert Male, die ich bereits hier gestanden hatte, angefangen mit der Zeit, als ich kaum an den Türknauf herankam. Aus der Nähe waren die grauen Strähnen in ihrem blonden Haar zu erkennen. Runzeln blühten wie Blumen um ihre blauen Augen. »Ist Kayleen da?«
Sie schüttelte den Kopf. »Fast nie.«
»Geht es dir gut?«, fragte ich.
Wieder schüttelte sie knapp den Kopf und lächelte dann. »Klar. Kommt ihr auf einen Tee herein?«
Ich wollte bleiben und mit ihr sprechen. Aber es war wichtiger, Kayleen zu finden. »Hast du eine Ahnung, wo sie stecken könnte?«
»Wahrscheinlich ist sie unten bei den Gebraställen. Es gibt da ein Junges, von dem sie sehr angetan ist und mit dem sie dort sehr viel Zeit verbringt.« Paloma verschränkte die Hände ineinander. »Jeden Abend nach der Arbeit geht sie rüber und kommt nur zum Schlafen nach Hause. Ich weiß nicht mal, ob sie überhaupt noch etwas isst.«
Ich zuckte zusammen. »Das tut mir leid.«
Paloma seufzte und nahm meine Hand. »Das Netz funktioniert im Moment sehr gut. Wir haben sie immer seltener um Unterstützung gebeten. Sogar Nava lässt sie an manchen Tagen in Ruhe. Kayleen hat Gianna mit den Satellitendaten geholfen, und sie hat die Bahnen der letzten drei größeren Meteore fast perfekt bestimmt. Gianna ist fast der einzige Mensch, mit dem sie noch gelegentlich spricht.« Ihre Stimme wurde leiser. »Ich bin mir sicher, dass sie euch vermisst.«
Obwohl kein Vorwurf in ihrem Tonfall mitschwang, rührte sich wieder mein schlechtes Gewissen. Ich blickte zu Liam auf. »Vielleicht sollten wir im nächsten Winter in der Stadt bleiben.«
Liam wandte sich an Paloma. »Wir können
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