Das silberne Schiff - [Roman]
jetzt nicht bleiben«, sagte er entschuldigend. »Die Sippe braucht uns im Sommer am meisten.«
»Sie würde euch gern häufiger sehen.« Paloma hielt kurz inne. »Ich auch. Ihr könnt hier wohnen, wenn ihr möchtet. Ich … ich würde gern eure Meinung über Kayleen hören.«
»Wir brechen morgen auf. Wir müssen gehen, das wirst du bestimmt verstehen.« Ich blickte auf mein Chronometer. »Wir sollten uns jetzt zu den Ställen aufmachen.«
Paloma lächelte. »Ich weiß. Ich werde mal mit Nava reden und sehen, ob Kayleen diesen Sommer eine Weile bei euch sein kann. Wärt ihr damit einverstanden?«
»Natürlich.« Ich erwiderte ihr Lächeln und berührte ihre Hand. Ein kleiner Trost, aber mehr konnte ich ihr nicht bieten. »Was ist mit diesem Gebrababy, das sie adoptiert hat?«
Wieder lächelte Paloma, als hätte auch sie sich in das kleine Tier verliebt. »Das hat sie. Ein Junges mit den allerhübschesten grünen Glanzlichtern in den braunen Streifen, wenn die Sonne darauf scheint. Kayleen trainiert das Tier. Es folgt ihr bereits auf der Weide, und gegen Mittsommer müsste es so weit sein, sich reiten zu lassen. Sie hat es Brise genannt.«
Ich lächelte, als ich mir Kayleen mit dem jungen Gebra vorstellte. »Ich hoffe, ich werde Brise kennenlernen.«
Liam umarmte Paloma und küsste sie auf den Kopf, dann tat ich dasselbe. Ihr Kopf reichte mir bis zur Schulter, und zum allerersten Mal kam mir der Gedanke, dass ich sie besser beschützen und unterstützen konnte als sie mich. »Ich hoffe, alles wendet sich zum Besten«, murmelte ich.
Wieder auf der Straße, blickte ich noch einmal zurück. Paloma stand in der Tür und beobachtete uns. Sie winkte uns zu.
Ich hatte meine kostbare Taschenlampe mit Solarzelle dabei, ließ sie aber ausgeschaltet, um meine Nachtsichtfähigkeit nicht zu verderben, während wir zu den Ställen liefen. Trotz der warmen Nacht kitzelte die Luft meine Haut. Der Winter war lang und hart gewesen, und erst etwa die Hälfte der Felder war bepflanzt worden. Wir kamen an ein paar Leuten vorbei, die von abendlichen Arbeiten zurückkehrten und uns zaghaft mit höflichem Winken begrüßten. Schon jetzt kam mir das Leben in der Stadt wieder so klein vor.
Als wir uns den Ställen näherten, wurde ich freudig von Tiger begrüßt, und zwei oder drei andere Gebras wieherten. Ihre großen, anmutigen Gestalten waren schwarze Silhouetten vor dem sanften Licht, das aus dem Stall drang. Sie drehten die Köpfe in meine Richtung. Ich ging zu Tiger und vergrub mein Gesicht in ihrem Nackenfell. Sie hatte früher zur allgemeinen Herde gehört, aber Akashi hatte sie für mich gekauft, schon im ersten Frühling, nachdem ich mich der Sippe angeschlossen hatte. Seine Augen hatten vor Freude gefunkelt, als er mir die Führungsleine hingehalten hatte. »Du brauchst jemanden, von dem du weißt, dass du dich auf ihn verlassen kannst.«
Ich hatte geweint.
Fast gierig atmete ich Tigers staubigen Stallgeruch ein. »Wir brechen morgen auf«, flüsterte ich ins lange Ohr, das sie mir zugewandt hatte.
Darauf beugte sie den großen Kopf über meine Schulter, als wollte sie mir mit einer Umarmung antworten. Ihr warmer Atem kitzelte mich im Nacken.
Ich drängte sie behutsam zurück und blickte mich um. Von Kayleen war nichts zu sehen. Nichts deutete auf die Anwesenheit eines Menschen hin. »Ich glaube nicht, dass sie hier ist«, flüsterte ich.
»Kayleen!«, rief Liam.
Keine Antwort.
Die Stalllampen warfen sanfte Lichtkreise auf den Boden der langen, hohen Scheune. Die Gebras kamen einzeln heran, um sich begrüßen zu lassen. Sie wandten uns die langen Ohren zu und stellten stumme Fragen mit ihren großen, intelligenten Augen. Zwei oder drei Weibchen hatten Frühlingsbabys mit spindeldürren Beinen an der Seite, aber ich wusste nicht, ob eins davon Brise war. Alle waren wunderschön.
Kayleen war jedenfalls nicht in der Nähe.
Am Ende des Mittelgangs rief ich nach ihr. »Kayleen, bist du hier?«
Wieder keine Antwort.
Wir traten durch die Hintertür auf den großen Trainingshof, und ich rief noch einmal. »Kayleen?«
Liam betrat das Gehege und lehnte sich gegen die Metallstangen der Einfassung des runden Trainingshofs. »Ich kann sie nirgendwo sehen.«
Eine einzelne Lampe, die hoch oben an der Außenseite der Holzscheune angebracht war, erhellte sein Gesicht und ließ sein blondes Haar strahlen.
Ich ging zu ihm hinüber, kletterte auf die Stangen und setzte mich auf die oberste. Dadurch war ich fast einen Meter
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