Das Silmarillion
seines Sohns. AchtundzwanzigJahre lang hatte er in Angband gefangen gesessen, und er war nun von düsterem Aussehen. Haar und Bart waren weiß und lang, doch ging er ungebeugt; er trug einen großen schwarzen Stab und hatte ein Schwert umgegürtet. So zog er nach Hithlum, und die Nachricht kam zu den Häuptern der Ostlinge, dass eine große Schar von Hauptleuten und schwarzen Soldaten aus Angband über den Sand von Anfauglith geritten komme, und mit ihnen ein alter Mann, wie einer, der in hohen Ehren gehalten werde. Daher legten sie nicht Hand an Húrin, sondern ließen ihn, wie er wollte, im Lande umherziehen; und darin handelten sie klug, denn die noch Verbliebenen aus seinem eigenen Volke mieden ihn, weil er aus Angband kam wie einer, der bei Morgoth in Bund und Ehren stand.
So machte die Freiheit Húrins Herz nur noch bittrer, und er ging fort aus dem Lande Hithlum und stieg in die Berge hinauf. Von dort erblickte er in der Ferne zwischen den Wolken die Gipfel der Crissaegrim, und er gedachte Turgons; und es verlangte ihn, das verborgene Reich von Gondolin wiederzusehen. Daher stieg er die Ered Wethrin wieder hinab, nicht wissend, dass die Kreaturen Morgoths jeden seiner Schritte verfolgten; und nachdem er die Brithiach überquert, ging er nach Dimbar hinein und kam in das dunkle Gebiet zu Füßen der Echoriath. Das ganze Land war kalt und trostlos, und mit geringer Hoffnung blickte er umher, am Fuß einer großen Geröllhalde unter einer steilen Felswand stehend, und er wusste nicht, dass dies alles war, was man von dem alten Fluchtweg noch sehen konnte: Der Trockene Fluss war versperrt und der Torbogen verschüttet. Da blickte Húrin zum grauen Himmel auf und dachte, vielleicht könne er noch einmal die Adler sehen wie einst in seiner Jugend; doch nur Schatten sah er, die von Osten herübergeweht wurden, und Wolken, um die unbesteigbaren Gipfel wirbelnd, und nur den Wind hörte er über die Felsen pfeifen.
Doch die Wachen der großen Adler waren nun verdoppelt, und sie sahen Húrin wohl, weit drunten, verloren im verblassenden Licht; und geradewegs brachte Thorondor selbst die Meldung, da sie von Gewicht schien, zu Turgon. Turgon aber sagte: »Schläft denn Morgoth? Ihr habt euch geirrt.«
»Nicht so«, sagte Thorondor. »Können Manwes Adler so irren, Herr, längst wäre dein Versteck dann vergebens.«
»Dann bedeuten deine Worte Unheil«, sagte Turgon, »denn nur eines kann ihr Sinn sein: Selbst Húrin Thalion hat sich Morgoths Willen ergeben. Mein Herz ist verschlossen.«
Doch als Thorondor fort war, saß Turgon lange in Gedanken, und bestürzt erinnerte er sich der Taten Húrins von Dor-lómin; und er schloss sein Herz auf und schickte nach den Adlern, dass sie Húrin suchten und ihn nach Gondolin brächten, wenn sie es vermöchten. Doch es war zu spät, und sie sahen ihn nie wieder, ob in Licht oder Schatten.
Denn Húrin stand verzweifelt vor den stummen Klippen der Echoriath, und die späte Sonne, die durch die Wolken drang, färbte sein weißes Haar rot. Dann schrie er laut in die Wildnis hinein, gleichgültig gegen alle Lauscher, die ihn hören mochten, und verfluchte das erbarmungslose Land; und zuletzt, auf einem hohen Felsen stehend, blickte er nach Gondolin hin und rief mit lauter Simme: »Turgon, Turgon, denk an das Fenn von Serech! O Turgon, willst du mich nicht hören in deinen versteckten Hallen?« Doch kein Laut war zu hören, außer dem des Windes im trocknen Gras. »So hat es auch im Serech gepfiffen gegen Abend«, sagte er; und während er sprach, ging die Sonne hinter den Schattenbergen unter, und Dunkelheit fiel um ihn, und der Wind hörte auf, und still wurde es in der Einöde.
Doch waren Ohren in der Nähe, die Húrins Worte vernahmen, und bald war der Bericht von all dem zum Dunklen Thron im Norden gelangt; und Morgoth lächelte, denn nun wusste er genau, in welcher Gegend Turgon sich befand, wenn auch der Adler wegen noch keiner seiner Späher das Land hinter den Umzingelnden Bergen zu Gesicht bekam. Dies war das erste Unheil, das Húrins Freilassung bewirkte.
Als es dunkel wurde, wankte Húrin von dem Felsen herab und fiel in einen schweren Schlaf des Kummers. Im Schlafe aber hörte er Morwens Stimme, wie sie klagte und oft seinen Namen rief; und ihm war es, als käme ihre Stimme aus Brethil. Als er bei Tagesanbruch erwachte, stand er daher auf und ging zur Brithiach zurück; und an den Rändern von Brethil entlangwandernd, kam er eines Abends an die Teiglin-Stege. Die
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