Das Silmarillion
groß werden, als dass die Valar sie beherrschen könnten, wenn sich die Elben über die weiten Lande der Welt hin vermehrten und verbreiteten.
Überdies wussten zwar zu jener Zeit die Valar schon von den Menschen, die kommen würden, die Elben aber wussten davon nichts, denn Manwe hatte es ihnen nicht offenbart. Melkor aber sprach heimlich zu ihnen von den Sterblichen Menschen, um zu sehen, ob sich das Stillschweigen der Valar nicht zum Bösen auslegen ließe. Wenig wusste auch er noch von den Menschen, denn, in eigne Gedanken versunken, hatte er während der Musik kaum auf Ilúvatars Drittes Thema geachtet; doch schon lief das Gerücht um, gefangen gehalten würden die Elben von Manwe, damit die Menschen sie aus den Königreichen von Mittelerde verdrängen sollten, denn diese kurzlebige und schwächere Rasse glaubten die Valar leichter beherrschen zu können, hätten sie nur erst die Elben um Ilúvatars Erbe betrogen. Wenig Wahres war an all dem, und kaum haben die Valar je vermocht, den Willen der Menschen zu lenken; und doch glaubten viele der Noldor den tückischen Reden, oder glaubten ihnen zur Hälfte.
So war der Friede von Valinor vergiftet, ehe noch die Valar davon wussten. Die Noldor begannen gegen sie zu murren, und viele wurden stolz und vergaßen, wie vieles, das sie nun besaßen und wussten, als Geschenk der Valar an sie gekommen war. Am wildesten brannte die neue Flamme des Begehrens nach Freiheit und größeren Reichen in dem stürmischen Herzen Feanors, und Melkor lachte in sich hinein, denn auf Feanor hatten seine Lügen gezielt, den er vor allen hasste; und immer verlangte es ihn nach den Silmaril. Doch diesen durfte er sich nicht nähern; denn wenn auch Feanor sie zu großen Festen trug, wo sie an seiner Stirn flammten, so wurden sie zu anderen Zeiten streng bewacht, verschlossen in seinen tiefen Schatzkammern in Tirion. Denn Feanor begann die Silmaril mit Gier zu lieben, und allen, bis auf seinen Vater und seine sieben Söhne, missgönnte er ihren Anblick; nur selten erinnerte er sich jetzt noch, dass das Licht in ihnen nicht sein Eigen war.
Edle Prinzen waren Feanor und Fingolfin, die ältesten Söhne Finwes, von allen in Aman geehrt; nun aber wurden sie stolz, und eifersüchtig hütete ein jeder seine Rechte und seinen Besitz. Da verbreitete Melkor neue Lügen in Eldamar, und Feanor kam zu Ohren, Fingolfin und seine Söhne hätten sich verschworen, Finwe und der älteren Linie Feanors die Macht zu entreißen und an ihre Stelle zu treten, mit Billigung der Valar, denen es nicht behage, dass die Silmaril in Tirion lägen und nicht ihrem Gewahrsam anvertraut würden. Zu Fingolfin und Finarfin aber wurde gesagt: »Nehmt euch in Acht! Wenig Liebe hat Míriels stolzer Sohn je für Indis’ Kinder gehegt. Jetzt ist er mächtig geworden und hat seinen Vater in der Hand. Nicht lange, und er wird euch vom Túna vertreiben!«
Und als Melkor sah, dass seine Lügen Fuß gefasst hattenund Hochmut und Zorn unter den Noldor erwacht waren, da sprach er zu ihnen von Waffen; und zu dieser Zeit begannen die Noldor Schwerter und Äxte und Speere zu schmieden. Und auch Schilde fertigten sie an, welche die Wappen vieler Häuser und Sippen zeigten, die miteinander wetteiferten; und nur diese führten sie sichtbar mit sich, während sie von den andren Waffen nicht sprachen, denn jeder glaubte, nur er allein habe die Warnung erhalten. Und Feanor richtete insgeheim eine Schmiede ein, von der selbst Melkor nichts wusste, und dort erfand er grausame Schwerter für sich und seine Söhne und große Helme mit roten Federbüschen. Bitter reute Mahtan der Tag, da er Nerdanels Gatten all seine Wissenschaft vom Schmieden gelehrt hatte, so wie er selbst sie von Aule erfahren.
Mit solchen Lügen, bösen Gerüchten und tückischem Rat entfachte Melkor Zwietracht in den Herzen der Noldor; und in ihrem Streit ging schließlich der Mittag von Valinor zu Ende, und der Abend seines alten Glanzes brach an. Denn Feanor begann nun offen aufrührerische Reden gegen die Valar zu führen; er rief laut aus, dass er aus Valinor in die Welt draußen heimkehren und die Noldor aus der Knechtschaft erlösen werde, wenn sie ihm folgten.
Da herrschte große Erregung in Tirion, und Finwe war bestürzt; und er rief all seine Edlen zum Rate zusammen. Fingolfin aber eilte in Finwes Hallen und trat vor ihn und sagte: »König und Vater, willst du nicht den Stolz unseres Bruders Curufinwe zügeln, den man den Feuergeist nennt, und nur allzu wahr
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