Das Silmarillion
ist’s? Mit welchem Rechte spricht er für unser ganzes Volk, als wäre er der König? Du warst es, der vor langer Zeit zu den Quendi gesprochen und sie gebeten, dem Ruf der Valar nach Aman zu folgen. Du hast sie geführt auf dem langen Weg durch die Gefahren von Mittelerde bisins Licht von Eldamar. Wenn dich das jetzt nicht gereut, so hast du wenigstens noch zwei Söhne, die deine Worte in Ehren halten.«
Doch während Fingolfin noch sprach, trat Feanor in den Saal, in voller Rüstung: den großen Helm auf dem Haupte und an der Seite ein gewaltiges Schwert. »So also ist es, wie ich mir gedacht«, sagte er. »Mein Halbbruder ist vor mir bei meinem Vater, wie hier, so auch in allen andern Dingen.« Dann trat er auf Fingolfin zu, zog sein Schwert und rief: »Pack dich, dorthin, wo dein Platz ist!«
Fingolfin verbeugte sich vor Finwe, und ohne ein Wort oder einen Blick für Feanor ging er aus dem Saal. Feanor aber folgte ihm, und am Tor des königlichen Hauses hielt er ihn an, und die Spitze des blanken Schwertes setzte er Fingolfin auf die Brust. »Sieh nur, Halbbruder!«, sagte er. »Dies hier ist noch schärfer als deine Zuge. Versuche du noch einmal, mich von meinem Platze und aus der Liebe meines Vaters zu verdrängen, und es wird die Noldor vielleicht von einem befreien, der nach der Herrschaft über Knechte strebt.«
Diese Worte hörten viele mit an, denn Finwes Haus lag an dem großen Platz unter dem Mindon; wieder aber gab Fingolfin keine Antwort, und schweigend schritt er durch die Menge, um Finarfin, seinen Bruder, aufzusuchen.
Nun war zwar die Unruhe unter den Noldor den Valar nicht mehr verborgen, doch im Dunkeln war sie gesät worden; daher, weil Feanor als Erster offen gegen sie geredet, meinten sie, er, der Eigenwillige und Selbstherrliche, sei der Treiber hinter der Unzufriedenheit, wenn auch alle Noldor nun hochfahrend geworden waren. Und Manwe war bekümmert, doch er sah zu und sagte kein Wort. Die Valar hatten die Eldar als Freie in ihr Land geholt, die dort bleibenoder es verlassen konnten; und mochten sie es auch für Torheit halten, wenn diese fortwollten, hindern konnten sie es nicht. Was aber Feanor getan, konnte nicht hingenommen werden; und so wurde er aufgefordert, an den Toren von Valmar vor sie hinzutreten und für all seine Worte und Taten Rede zu stehen. Auch alle anderen, die daran Anteil gehabt oder etwas davon wussten, wurden herbeigerufen; und Feanor stand vor Mandos im Ring des Schicksals und wurde geheißen, auf alle Fragen zu antworten, die man ihm stellte. Da endlich wurde die Wurzel bloßgelegt, und Melkors Tücke kam heraus, und sogleich verließ Tulkas den Rat, um Hand auf ihn zu legen und ihn wieder vor das Gericht zu bringen. Doch auch Feanor wurde nicht für schuldlos befunden, denn er war es, welcher den Frieden von Valinor gebrochen und das Schwert gezogen hatte gegen seinen Bruder; und Mandos sagte zu ihm: »Von Knechtschaft sprichst du. Wenn es Knechtschaft ist, so kannst du ihr nicht entgehen, denn König von Arda ist Manwe, und nicht allein von Aman. Und deine Tat war wider das Recht, ob in Aman oder nicht in Aman. Daher wird nun dieses gesprochen: Für zwölf Jahre sollst du Tirion verlassen, wo diese Drohung geäußert wurde. In der Zeit halte Rat mit dir selbst, und erinnere dich, wer und was du bist. Nach dieser Zeit aber soll dies in Frieden beigelegt sein und für abgebüßt gelten, wenn andere dir verzeihen.«
Da sagte Fingolfin: »Ich werde meinem Bruder verzeihen.« Feanor aber gab kein Wort zur Antwort; stumm stand er vor den Valar. Dann wandte er sich um, ging fort aus dem Rate und verließ Valmar.
Ihm folgten seine sieben Söhne in die Verbannung, und im Norden von Valinor bauten sie sich einen festen Platz und ein Schatzhaus in den Bergen; und dort, in Formenos,horteten sie vielerlei Gemmen und auch Waffen; und die Silmaril wurden in eine Kammer von Eisen geschlossen. Dorthin kam auch Finwe, der König, weil er Feanor liebte; und Fingolfin regierte die Noldor in Tirion. So waren dem Anschein nach Melkors Lügen wahr geworden, wenn auch Feanor dies durch eignes Tun erreicht hatte; und die Verbitterung, die Melkor gesät, dauerte fort und lebte noch lange hernach zwischen Fingolfins und Feanors Söhnen.
Melkor nun, als er erfuhr, dass seine Ränke entdeckt waren, verbarg sich und zog von Ort zu Ort wie eine Wolke in den Bergen; und vergebens suchte ihn Tulkas. Da schien es allen in Valinor, als wäre das Licht der Bäume getrübt; und die Schatten
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