Das Skript
Zeitungen massenweise Manuskripte von Autoren zugeschickt, die ihr Werk gerne abgedruckt sehen würden. Und ebenso wie bei Verlagen wird fast alles abgelehnt. Normalerweise geschieht das mit einem Standardschreiben.
Vielen Dank, aber Ihr Werk passt thematisch nicht zu unserem Kulturprogramm
, und so weiter. Da steht nicht:
Ihr Roman ist zu schlecht für eine Veröffentlichung.
Diese Redakteurin aber, die in meinem Roman das erste Päckchen erhält, ist die Einzige, die dem Täter persönlich antwortet, und sie ist geradezu brutal ehrlich. Sie schreibt ihm, dass er aus ihrer Sicht weder das Handwerkszeug noch die sprachlichen Fertigkeiten hat, einen Roman zu schreiben, und noch einiges mehr. Kurzum: Sie hat seinen Roman verrissen.«
Schlagartig wurde Erdmann klar, worauf Jahn hinauswollte. »O Mann. Genau wie Nina Hartmann
Ihren
Roman verrissen hat.«
Erdmann bemerkte, dass Matthiessen ihn fragend ansah. Jahn atmete derweil mehrmals laut in den Hörer. »Ja. Und damit sehen Sie, dass ich es ernst meine mit meiner Hilfe. Denn indem ich Ihnen das sage, habe ich Ihnen wohl gerade selbst einen Grund geliefert, mich zu verdächtigen, nicht wahr?«
»Langsam, Herr Jahn. So schnell wird niemand zu einem Verdächtigen erklärt. Natürlich gehören Sie zu dem Personenkreis, mit dem wir uns näher beschäftigen, aber der vorrangige Grund dafür ist die Tatsache, dass
Sie
den Roman geschrieben haben, dessen Handlung nachgestellt wird. Sagen Sie, wie ist es mit dieser Redakteurin weitergegangen? Hat sie einfach nur dieses erste Päckchen bekommen?«
»Oh, nein, Sie … mein Gott, Sie haben ja recht – Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Sie wurde auch entführt.«
»Was?«, stieß Erdmann aus und sprang auf, ohne darüber nachzudenken. »Wann? Wann wird sie entführt?«
»Moment … da muss ich nachdenken, also –«
»Nun reden Sie schon. Kennen Sie denn Ihren eigenen Roman nicht, verdammt nochmal?«
»Wenn Sie in diesem Ton mit mir reden, fällt es mir bestimmt nicht ein. Aber halt, jetzt weiß ich’s wieder, das war einen Tag nachdem sie das Päckchen bekommen hatte.«
Erdmann brauchte ein, zwei Sekunden. »Das wäre in unserem Fall ja heute. Wann, wo und wie wurde sie entführt?« Keine Antwort. Matthiessen stand nun auch von ihrem Platz auf, sie war angespannt. »Reden Sie endlich, Mann.«
»Ich weiß es nicht mehr, warten Sie … irgendwann am Tag, ich glaube am Nachmittag, der Täter hat sie mit einem Anruf irgendwohin gelockt und sie dann mit Äther betäubt.«
»Tötet er sie?«
»Ja, schon, aber erst später.«
»Bleiben Sie zu Hause, wir melden uns.«
Erdmann legte auf. »Nina Hartmann. Der Täter wird versuchen, sie zu entführen.«
Er hatte es kaum ausgesprochen, als Matthiessen schon ihr Handy in der Hand hielt. Nach zwei Versuchen sagte sie: »Sie geht nicht ran.« Matthiessen wählte erneut. »Ja, Matthiessen hier. Sofort ein Team zur Wohnung von Nina Hartmann, Adresse habt ihr, dieser Irre wird wahrscheinlich versuchen, sie zu entführen. Und ein Team zu ihrem Freund in die Hochallee in Harvestehude … nein, die Nummer weiß ich jetzt nicht, schauen Sie im Bericht nach. Ja, und informieren Sie den Chef, der soll alles Weitere in die Wege leiten.«
Die Bedienung kam mit zwei gut gefüllten Salattellern an, doch Matthiessen ignorierte sie und sagte zu Erdmann: »Los jetzt.« Der zog hastig seine Geldbörse heraus, ließ einen Zwanziger auf den Tisch fallen, sagte im Vorbeigehen zu der verblüfften Frau: »Sorry, den Salat können Sie weiterverkaufen«, und eilte hinter Matthiessen her durch die Arkaden zu ihrem Wagen.
Noch bevor Erdmann den Schlüssel ins Schloss steckte, ließ er das Seitenfenster herunter, nahm das Blaulicht aus der Ecke des Armaturenbretts und setzte es mit dem Magnethalter aufs Dach. Dann startete er den Motor, schaltete das Blaulicht ein und fuhr mit quietschenden Reifen los.
Während er den Wagen in halsbrecherischer Fahrt zwischen langsam fahrenden und parkenden Autos hindurchlenkte, versuchte Matthiessen wieder, Nina Hartmann zu erreichen.
»Mist, sie geht nicht ran.«
»Was ist mit ihrem Freund?«
»Versuche ich gerade.« Wieder war das Telefon an ihrem Ohr. »Ja, hallo, Matthiessen hier. Ist Frau Hartmann noch bei Ihnen? … Ja, ich weiß, dass sie gleich fahren wollte. Wann ist sie los? … Aha. … Wissen Sie von wem? … Nein, wir waren es nicht … Nein, beantworten Sie jetzt meine Fragen, es ist wichtig. Haben Sie seitdem noch mal mit ihr
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