Das Skript
Mitautor des Buches doch ärgern, wenn jemand
Ihr Werk
so verreißt.«
Er winkte ab. »Ach, das kann man doch nicht ernst nehmen.
Alle im Verlag haben herzhaft darüber gelacht.«
»Wissen Sie noch, von wem sie geschrieben wurde?«
»Nein, ich weiß nur noch, dass es eine Frau war. Der Name … keine Ahnung. Unbedeutend.«
»Ich kenne mich mit Urheberrecht bei Romanen nicht aus«, schaltete Matthiessen sich wieder ein, »aber ich frage mich, ob das legitim ist, was Sie da getan haben.«
Lorth grinste. »Egal, wie umfangreich und tiefgreifend das Lektorat auch ist, solange der Autor ihm zustimmt, ist es absolut legitim. Und Jahn hat allen meinen Lektoraten zugestimmt. Widerwillig zwar, aber er hat es getan. Weil er wusste, dass seine Bücher dadurch zumindest halbwegs lesbar wurden. Ich musste mich dem Programmchef und dem Verlag gegenüber verpflichten, nicht darüber zu reden,
wie
umfangreich meine Überarbeitung tatsächlich war, und das habe ich auch nie getan. Ihnen muss ich das natürlich gestehen, immerhin vertreten Sie die Staatsgewalt, und wenn Sie das jetzt im Rahmen Ihrer Ermittlungen weitererzählen, und dadurch bekannt wird, dass zumindest die guten und spannenden Teile der Jahn-Romane eigentlich von mir stammen … dafür kann ich schließlich nichts.«
Wieder zeigte er seine gelben Zähne, und Erdmann musste wegsehen. Matthiessen schien diesbezüglich härter im Nehmen zu sein. »Haben Sie bei
Das Skript
auch so umfangreich geändert?«
»Und ob. Jahn sollte besser Reiseführer schreiben, denn genau so schreibt er seine Romane. Eine seitenlange Beschreibung reiht sich an die nächste. Details über Details, und die Handlung verliert er dabei völlig aus den Augen. Das war teilweise so hanebüchen, dass es einem Zehnjährigen unlogisch erschienen wäre.«
»Aber Sie finden die Bücher noch immer schlecht, obwohl Sie sie überarbeitet haben?«
»Ich habe sie zumindest lesbar gemacht, aber aus einem 500 er Fiat machen Sie keinen 911 er Porsche, auch nicht, wenn Sie die Kotflügel verbreitern und ihn tiefer legen.«
Erdmann kam ein Gedanke. »Können Sie sich noch gut an
Das Skript
erinnern?«
»Tzz, aber natürlich, welch eine seltsame Frage. Wie ich schon sagte, ich habe einen Großteil davon geschrieben.«
»Fein. Das erste Stück Haut bekommt am Anfang eine Kulturredakteurin zugeschickt. Können Sie sich an diese Person erinnern?«
»Figur!«
»Was?«
»Figur. Bei einem fiktiven Roman spricht man nicht von einer Person, sondern von Figuren oder Charakteren. Eine Person ist immer ein lebendes Individuum.«
»Jetzt gehen Sie mir doch nicht auf die …«, entfuhr es Erdmann. Doch er besann sich gleich wieder und fügte in ruhigerem Ton hinzu: »Also, können Sie sich noch an diese Redakteurin erinnern?«
»Ja, an die kann ich mich sogar noch sehr gut erinnern. Auch wieder ein typisches Jahn-Beispiel. Man stelle sich vor: Bei allen Zeitungen wird dieses Päckchen an die Hausadresse adressiert, nur bei diesem ersten geht es persönlich an die Redakteurin. Da denkt sich der Lektor: Sehr gut, das erhöht die Spannung. Und wissen Sie, was in Jahns Version anschließend mit dieser Redakteurin passiert? Haben Sie eine Vorstellung davon, was dieser Dilettant daraus macht?«
»Nein, woher auch? Also?«
»Nichts. Absolut rein gar nichts. Und warum? Weil der Kerl einfach nicht versteht, wie es funktioniert. Das Zauberwort heißt
Motivation
. Wenn der Psychopath in einem Fall von seiner normalen Vorgehensweise abweicht, dann muss er dafür ein Motiv haben. Und der Leser wartet gespannt darauf, dass er dieses Motiv spätestens gegen Ende erfährt. Bei Jahn aber erfuhr der Leser nichts, weil es nichts mehr gab. Die Frau ist einfach nicht mehr aufgetaucht.«
»Ich verstehe, und da haben Sie –«
»Ja, genau«, fiel der Lektor ihm ins Wort. »Da habe ich das so umgeschrieben, dass diese Redakteurin auch entführt wird, aus Rache, weil sie diesem Irren in einer persönlich geschriebenen Absage vor Augen geführt hat, wie schlecht sein Manuskript ist. Das hat ihn natürlich wütend auf sie gemacht, also musste sie büßen. So funktionieren Kriminalfälle.«
»Ich bin wirklich froh, dass uns endlich mal jemand über Motive aufklärt und darüber, wie Kriminalfälle wirklich funktionieren.«
»Haben Sie von der Entführung von Heike Kleenkamp gelesen?« Anders als Erdmann klang Matthiessen absolut sachlich. »Sie ist die Tochter des Herausgebers der Hamburger Allgemeinen
Weitere Kostenlose Bücher