Das Skript
Lorth zu Hause an und hören nach, was los ist. Und geben Sie mir dann bitte Bescheid.« Er brachte das Telefon mit zu seinem Platz neben Matthiessen. »Ich weiß, dass Christoph Jahns Manuskripte nicht gehalten haben, was sich mein Vorgänger davon versprochen hat. Leider hat Dr. Wulf da kein sonderlich gutes Händchen bewiesen. Allerdings bin ich bisher davon ausgegangen, dass das, was wir letztendlich veröffentlicht haben, grundsätzlich schon von ihm stammt. Ich nehme an, Herr Lorth hat Ihnen gegenüber einfach ein bisschen übertrieben. Wenn wir mit ihm sprechen, wird sich das sicher aufklären.« Das Telefon klingelte, und Lüdtkes Assistentin teilte ihm mit, dass sie den Lektor nicht erreichen konnte. »Tja, wahrscheinlich ist er Besorgungen machen.«
»Wir werden sehen«, sagte Erdmann. »Sagen Sie, was ist Herr Lorth für ein Mensch? Wie würden Sie ihn beschreiben?«
»Sie werden verstehen, dass ich ungern über meine Mitarbeiter rede, das ist –«
Erdmann hob die Hand. »Das ehrt Sie, Herr Lüdtke, aber ich denke, in diesem Fall können Sie mit ruhigem Gewissen eine Ausnahme machen.«
Lüdtke zögerte noch einen Moment, dann nickte er zum Zeichen, dass er sich entschieden hatte. »Werner Lorth war schon im Verlag, als ich vor knapp fünf Jahren hier angefangen habe. Er ist ein guter Lektor, mit einem ausgeprägten Gefühl für Sprachmelodie und Textfluss. Ich gebe zu, er neigt manchmal ein wenig zu einem gewissen … Fatalismus, wenn es um seinen Beruf geht. Aber alles in allem bin ich mit seiner Arbeit zufrieden.«
»Kann es sein, dass Herr Lorth ein Alkoholproblem hat?«
»Nun, es kann schon sein, dass er hier und da gerne ein paar Gläschen trinkt, aber solange seine Arbeit nicht darunter leidet, ist das seine Privatangelegenheit.«
Matthiessen stand auf, Erdmann tat es ihr gleich. »Wir werden gleich mal bei ihm vorbeifahren und nachsehen, was mit ihm los ist. Falls er nicht zu Hause ist, hinterlassen wir ihm eine Nachricht, dass er sich bei Ihnen und bei uns melden soll.«
»Ja, das ist gut.« Auch der Programmchef erhob sich von seinem Platz.
»Nachdem diese Geschichte heute Morgen in den Zeitungen stand, werden Sie in den nächsten Tagen sicher einen ziemlichen Ansturm auf
Das Skript
erleben«, sagte Erdmann. »Ähnlich wie es vor vier Jahren mit
Der Nachtmaler
war, oder?«
»Ja, das wird wohl so sein. Es ist furchtbar, was da geschieht, aber wie bei allem im Leben, gibt es selbst an dieser scheußlichen Sache noch einen positiven Aspekt.«
»Das kommt auf die Position an, aus der man es betrachtet. Kennen Sie eigentlich Heike Kleenkamp?«
»Ja, durch ihren Vater. Der Verlag pflegt mit Dieter Kleenkamp ebenso wie mit anderen wichtigen Verlegern und Herausgebern einen lockeren Kontakt.«
»Was heißt in diesem Fall
locker
?«
»Das heißt, dass man regelmäßig miteinander telefoniert und sich alle zwei, drei Monate mal zum Essen trifft.«
»Ah, gut. Sollten wir noch Fragen haben, dürfen wir uns doch sicher wieder an Sie wenden?«
»Selbstverständlich, ich stehe zur Verfügung.« Er ging wieder zu seinem Schreibtisch, wo er ein silbernes Kästchen aufklappte, dem er eine Visitenkarte entnahm, die er nicht Erdmann, sondern Matthiessen reichte. Die warf einen kurzen Blick darauf, ließ sie in ihrer Jackentasche verschwinden und sah Lüdtke wieder an: »Sagt Ihnen der Name Nina Hartmann etwas?«
»Hartmann, Hartmann … Nein, auf Anhieb nicht. Nina Hartmann … Nein, kenne ich nicht, ganz sicher. Wer ist das?«
»Das ist eine junge Frau, die im vergangenen Dezember eine Buchbesprechung über
Das Skript
in der HAT geschrieben hat. Sie hat das Buch ziemlich verrissen.«
Lüdtke stieß ein kurzes Lachen aus. »Liebe Frau Hauptkommissarin, in unserem Verlag erscheinen Monat für Monat massenweise neue Bücher. Und zu fast jedem dieser Bücher werden an allen möglichen Stellen Rezensionen geschrieben. Bei manchen Werken sind das ganz schnell hundert und mehr. Selbst wenn ich es wollte, ich könnte mir unmöglich alle diese Meinungen ansehen.«
»Ja, das verstehe ich.« Matthiessen wandte sich an Erdmann. »Dann lass uns mal nachsehen, ob wir Herrn Lorth antreffen.«
Lüdtke hob die Hand, als wolle er sich zu Wort melden. »Eine Bitte habe ich aber auch an Sie: Erzählen Sie das, was Ihnen Herr Lorth da in seiner etwas … sagen wir, überzogenen Selbstdarstellung bezüglich seiner Arbeit an Jahns Romanen gesagt hat, bitte nicht weiter. Es würde ein falsches Bild auf den
Weitere Kostenlose Bücher