Das Skript
geführt hatte. Es war ziemlich zu Anfang ihrer Beziehung gewesen. Er hatte sie beim Abendessen gefragt, ob sie irgendwann einmal Kinder haben wolle. Julia hatte einen Moment überlegt und gesagt, vielleicht wolle sie das tatsächlich mal, aber wenn, dann nur mit Kaiserschnitt, und Stillen käme überhaupt nicht in Frage, sie habe oft genug die ausgelutschten Hängebrüste junger Frauen nach dem Stillen gesehen. Er hatte das Thema danach nicht mehr angesprochen.
Er verspürte die plötzliche Gier auf eine Zigarette und wunderte sich darüber. Vier Jahre war es nun her, dass er mit dem Rauchen aufgehört hatte, und das letzte Mal, dass er überhaupt an eine Zigarette gedacht hatte, musste mindestens zwei Jahre her sein. Er fragte sich, wo dieses plötzliche Bedürfnis herkam.
»Ah, da steckst du ja.« Matthiessen stand im Eingang und streckte den Kopf zur Tür heraus. »Alles o.k. bei dir?«
Bevor Erdmann etwas erwidern konnte, waren Kommissar Diederich und eine Kollegin neben Matthiessen getreten.
»Wir müssen in die Griegstraße, zur Morgenpost«, ließ Diederich sie wissen. »Das nächste Päckchen ist da.«
X
Zuvor
Ihr Mund war ausgetrocknet, schlucken konnte sie schon seit Stunden nicht mehr. Falls es Stunden waren …
Sie hatte großen Durst. Vielleicht verdurstete sie gerade. Wenn sie ihre Zunge unter großer Anstrengung bewegte, fühlte es sich an, als stieße ein rauer, wulstiger Fremdkörper gegen Gaumen und Zähne. Erst war es wie ein Zwang gewesen, immer wieder hatte sie dieses rissige Ding in ihrem Mund bewegt und sich dabei auf die Fremdartigkeit des Gefühls konzentriert. Das hatte sie abgelenkt. Mittlerweile schaffte sie es kaum noch. Nur wenn sie sich vorher überlegte, welchen Muskel sie dazu bewegen musste, ging es manchmal. So war es mit ihrem ganzen Körper. Sie hatte keine Vorstellung davon, wie ihre Beine standen. Sie spürte sie nicht mehr, und nachsehen konnte sie auch nicht. Einmal hatte sie es versucht, das war vor … das war irgendwann gewesen. Sie hatte nach unten sehen wollen und sich dabei so sehr stranguliert, dass sie fast erstickt wäre. Sie konnte keine feinmotorischen Bewegungen mehr ausführen. Der Befehl »Kopf nach unten bewegen« hatte zu einem ruckartigen Fallenlassen des Kopfes geführt. Und dem Zuziehen der Schlinge.
Ab und zu drang ein Laut aus ihrem Mund. Beim ersten Mal hatte sie sich fast zu Tode erschreckt, weil sie geglaubt hatte, die tote Frau hätte versucht, etwas zu sagen.
Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis eine Stimme in ihrem Inneren ihr zugeraunt hatte, dass die Frau nicht mehr da war.
Jetzt registrierte sie Geräusche, sah eine dunkle Masse, die näher kam. Das Monster. Erkennen konnte sie es nicht mehr. Vielleicht hatte die Sehfähigkeit ihrer schmerzenden und sicher stark entzündeten Augen nachgelassen. Vielleicht war ihr Gehirn nicht mehr in der Lage, das umzusetzen, was es an Signalen von den Augen geliefert bekam. Sie wollte darum betteln, wenigstens von der Schlinge um ihren Hals befreit zu werden, aber mit dem fremdartigen Ding in ihrem Mund konnte sie keine Worte mehr formen. War es nicht auch egal? War nicht alles, alles egal?
Sie sann darüber nach und registrierte teilnahmslos, dass das Monster sich an ihr zu schaffen machte.
Das Standbild vor ihren Augen geriet in Bewegung, es rutschte nach links weg und zog farbige Schlieren hinter sich her. Es bewegte sich zur anderen Seite, nach oben … Die Welt drehte sich,
sie
drehte sich. Ein dumpfer Schlag gegen ihren Kopf, sie verlor die Orientierung, noch ein Schlag, heftiger nun und gegen Stirn und Nase, dann bewegte sie sich nicht mehr. Hatte sie sich überhaupt bewegt? War sie bewegt worden? In einem kurzen Moment der Klarheit merkte sie, dass sie wieder auf der Liege lag, das Gesicht nach unten. Wie die Frau Stunden zuvor. Oder gerade, oder … gestern? Sie überlegte, ob sie nun an der Reihe war. Vielleicht. Dann war es vorbei. Es würde sowieso bald vorbei sein, warum also nicht jetzt? Sie wartete, würde es sicher gleich wissen. Etwas drang heiß in ihren Rücken. Sie spürte den wahnsinnigen Schmerz. Er war ihr egal.
25
Anders als bei ihrem ersten Besuch kam ihnen Miriam Hansen nicht entgegen, als sie die Buchhandlung in Hoheluft-West betraten. Sie lächelte auch nicht, was daran liegen mochte, dass sie nun von den Umständen wusste, wegen deren die beiden Polizisten sie aufsuchten. Sie wirkte nervös, als sie Matthiessen und Erdmann zaghaft begrüßte.
»Hallo, Frau Hansen,
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