Das Skript
Matthiessen.
Den Weg zu dem Verlagsgebäude in Eidelstedt legten sie in einer Viertelstunde zurück, die Matthiessen dazu nutzte, im Präsidium anzurufen, um nach dem neuen Päckchen zu fragen. Sie erfuhr, dass Jens Diederich das Päckchen mittlerweile bei der Morgenpost in Empfang genommen hatte und damit auf dem Weg zum Präsidium war. Der Inhalt bestand aus zwei weiteren Romanseiten, geschrieben auf Menschenhaut.
Die junge Frau, die hinter einem bogenförmigen Tresen im Eingangsbereich des Verlagshauses saß, beeilte sich, sie beim Programmchef anzumelden, nachdem sie einen Blick auf ihre Ausweise geworfen hatte. Kurze Zeit später saßen sie Peter Lüdtke an einem modernen, runden Tisch in seinem Büro gegenüber. Der Programmchef mochte Ende vierzig sein, sein volles dunkles Haar war an den Schläfen grau meliert, die dezent gebräunte Gesichtshaut ließ ihn erholt und agil aussehen. Als er zur Begrüßung aufgestanden war, hatte er Erdmann um mindestens zehn Zentimeter überragt. Nun saß er mit übereinandergeschlagenen Beinen in dem Ledersessel, und der leichte Bauchansatz wölbte das beigefarbene Hemd über dem Hosenbund etwas nach außen. Die braunen, leicht schräg zueinanderstehenden Augen verliehen seinem Gesicht einen asiatischen Ausdruck. Er lächelte, doch Erdmann hatte das Gefühl, dieses Lächeln hörte schon unterhalb der Augen auf.
»Wir möchten uns mit Ihnen über Ihren Lektor, Herrn Lorth, und einen Ihrer Autoren unterhalten.«
»Ah ja, es geht sicher um die Geschichte mit Jahn. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Eine fürchterliche Sache, man ist immer wieder überrascht, wozu Menschen fähig sind. Aber Sie sind so was ja wahrscheinlich gewohnt.«
»An
so was
kann man sich nicht gewöhnen«, erwiderte Erdmann. »Aber Sie haben recht, es geht um diese Verbrechen, die offensichtlich aus
Das Skript
nachgestellt werden. Haben Sie vor vier Jahren auch schon diese Sache in Köln miterlebt, oder waren Sie zu der Zeit noch nicht hier im Verlag?«
»Doch, doch, ich war schon hier, als das passierte. Fürchterlich.«
»Aber lassen Sie uns doch über Herrn Lorth sprechen. Er erzählte uns gestern, er habe die Manuskripte von Christoph Jahn stark verändert, weil sie sonst nicht zu veröffentlichen gewesen wären. Stimmt das?«
»Es ist die Aufgabe eines Lektors, ein Manuskript, das uns ein Autor einreicht, auf verschiedene Dinge hin zu überprüfen. Logische Fehler, grammatikalische Stolpersteine, der Spannungsbogen und und und. Bei manchen Autoren muss fast nichts getan werden, bei anderen mehr. Ich gehe davon aus, Herr Lorth hat bei Jahns Manuskripten so viel verändert, wie nötig war.«
»Wissen Sie, in welchem Umfang er eingegriffen hat?«, fragte Matthiessen.
»Ich setze voraus, es war in einem vernünftigen Maß.«
»Herr Lorth erzählte uns gestern, er habe die Manuskripte von Herrn Jahn größtenteils neu geschrieben. Er sagte, genaugenommen sei er der Autor der Bücher. Wie sehen Sie das?«
Lüdtke verließ seine bequeme Sitzposition und richtete sich auf. »Das ist natürlich Unsinn.«
»Aber so hat er es uns gesagt, und er gab uns zu verstehen, dass Sie davon wissen und er nicht darüber reden darf. Dass er aber überhaupt nichts dagegen hat, wenn wir das im Zuge unserer Ermittlungen entsprechend weitertragen.«
Lüdtke versuchte ein Lächeln, es gelang ihm aber nicht. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich zweifle natürlich nicht an Ihren Worten, aber …«
»Vielleicht sollten wir Herrn Lorth einfach mal dazurufen«, schlug Erdmann vor, woraufhin der Programmchef die Augenbrauen hochzog. »Werner Lorth ist heute nicht da. Ich dachte, Sie wüssten das, wenn Sie doch gestern noch bei ihm waren.«
Matthiessen und Erdmann tauschten einen Blick, dann sagte Matthiessen: »Haben Sie schon versucht, ihn anzurufen?«
»Nein, ich telefoniere meinen Mitarbeitern nicht hinterher, sie melden sich hier, wenn es nötig ist.«
»Gestern machte Herr Lorth jedenfalls einen sehr gesunden Eindruck.«
»Was man so gesund nennt«, fügte Erdmann hinzu, wofür er sich einen strafenden Blick von Matthiessen einhandelte.
»Ich denke nicht, dass er krank ist. Manchmal arbeitet er auch von zu Hause, vor allem, wenn er mit einem Lektorat beschäftigt ist und Ruhe zum Arbeiten braucht.«
»Und heute ist er mit einem Lektorat beschäftigt?«
Lüdtke erhob sich, ging zu dem Telefon, das auf seinem Schreibtisch stand, und drückte eine Taste. »Frau Peters, rufen Sie doch bitte mal bei Werner
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