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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Geschäftsführer einer Firma werden wollen, ist es vermutlich sinnvoll, einen IQ von mehr als 100 zu haben. Wenn Sie Kernphysiker werden wollen, dürfte es hilfreich sein, einen IQ von über 120 zu haben.
    Aber Harrisons Fokussierung auf den IQ ist nicht unproblematisch. Erstens ist der IQ erstaunlich formbar. Umweltfaktoren können den IQ enorm beeinflussen. Eine Studie mit schwarzen Kindern im Prince Edward County im Bundesstaat Virginia belegte, dass jedes versäumte Schuljahr im Schnitt mit einem Verlust von sechs IQ -Punkten einherging. 10 Die elterliche Aufmerksamkeit scheint ebenfalls eine Rolle zu spielen. Erstgeborene haben im Allgemeinen einen höheren IQ als Zweitgeborene, die wiederum einen höheren IQ als Drittgeborene haben. Dieser Effekt verschwindet allerdings, wenn die Kinder mehr als drei Jahre auseinander sind. Erklärt wird dies damit, dass Mütter mit ihren Erstgeborenen mehr sprechen und komplexere Sätze dabei bilden. Wenn ihre Kinder dicht aufeinanderfolgend zur Welt kommen, müssen die Mütter ihre Aufmerksamkeit aufteilen. 11
    Den umfassendsten Beleg für die Veränderbarkeit des IQ liefert der sogenannte Flynn-Effekt. Zwischen 1947 und 2002 stieg der IQ in der sogenannten Ersten Welt stetig um etwa drei Prozentpunkte pro Jahrzehnt an. 12 Dies wurde in vielen Ländern, vielen Altersgruppen und vielen verschiedenen Milieus festgestellt. Es ist ein eindeutiger Beleg dafür, dass der IQ Umwelteinflüssen unterliegt.
    Interessanterweise stiegen die Werte nicht in allen Teilbereichen des IQ -Tests. Im Jahr 2000 schnitten die Probanden in den Testabschnitten »Wortschatz« und »Leseverstehen« nicht besser ab als ihre Vorgänger im Jahr 1950. Aber in den Teilen, die das abstrakte Denkvermögen messen sollen, zeigten sie viel bessere Ergebnisse. »Heute fällt es Kindern wesentlich leichter, Probleme spontan zu lösen, ohne auf eine vorher gelernte Methode zurückzugreifen«, schreibt James R. Flynn. 13
    Er erklärt dies damit, dass verschiedene Epochen verschiedene Fähigkeiten fördern. Die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts belohnte und benötigte eher das konkrete Denkvermögen. Unsere heutige Gesellschaft belohnt und benötigt eher abstraktes Denkvermögen. Menschen mit einer genetischen Disposition für abstraktes Denken wenden diese Fähigkeit immer häufiger an und werden daher immer besser darin. Ihre ererbten Fähigkeiten werden durch ihre sozialen Erfahrungen verstärkt, und dies führt zu deutlich höheren IQ -Werten.
    Doch sobald man das schulische Umfeld verlässt, sagt der IQ Leistung und Erfolg nicht mehr sonderlich zuverlässig vorher. Unter ansonsten gleichen Bedingungen haben Menschen mit hohem IQ keine glücklicheren Beziehungen oder Ehen. Auch bei der Erziehung ihrer Kinder sind sie nicht besser. 14 In einem Kapitel im Handbook of Intelligence resümiert Richard K. Wagner von der Florida State University die Studien über den Zusammenhang zwischen dem IQ und der Arbeitsleistung und gelangt zu dem Schluss, dass der » IQ nur etwa 4 Prozent der Varianz in der beruflichen Leistungsfähigkeit vorhersagt«. 15 In einem anderen Kapitel des Handbuchs kommen John D. Mayer, Peter Salovey und David Caruso zu dem Schluss, dass der IQ bestenfalls etwa 20 Prozent zum Lebenserfolg beiträgt. Solche Zahlen sind mit großer Vorsicht zu genießen. 16 Wie es Richard Nisbett formuliert: »Was die Natur zusammengefügt hat, kann die statistische Methode der Mehrfachregression nicht auseinandernehmen.« 17 Dennoch gilt allgemein, dass, abgesehen von einigen recht naheliegenden Korrelationen (intelligente Menschen sind bessere Mathematiker), nur ein sehr lockerer Zusammenhang zwischen IQ und Lebenserfolg besteht.
    Eine berühmte Langzeitstudie, die sogenannte Terman-Studie, verfolgte den Lebensweg einer Gruppe hochbegabter Schüler (mit einem IQ von mindestens 135). Die Forscher erwarteten, dass diese hochintelligenten jungen Menschen eine blendende Karriere machen würden. Tatsächlich brachten sie es auch recht weit, die meisten wurden Rechtsanwälte oder Manager. Aber es gab in der Gruppe keine genialen Überflieger – niemanden, der den Pulitzer-Preis oder einen MacArthur-Award gewonnen hätte. In einer Anschlussstudie, die Melita Oden 1968 durchführte, zeigte sich, dass die Personen in der Gruppe, die am erfolgreichsten war, nur geringfügig höhere IQ s hatten. Was sie auszeichnete, war ihre überragende Arbeitsethik. Sie hatten schon als Kinder mehr Ehrgeiz gezeigt. 18
    Ab einem IQ -Wert

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