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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Intelligenz hilft einem bei der Lösung klar umrissener Probleme. Der Charakter hilft einem, herauszufinden, mit was für einem Problem man es überhaupt zu tun hat und welche Regeln man anwenden sollte, um es zu lösen. Wenn man Menschen die Regeln vorgibt, die sie befolgen müssen, um ein logisches Problem zu lösen, dann schneiden Menschen mit einem höheren IQ besser ab als Menschen mit einem niedrigen IQ . Gibt man ihnen aber keine Regeln vor, sind Personen mit hohem IQ nicht besser. Die Regeln für die Lösung eines Problems zu finden und die eigene Leistung anschließend ehrlich zu bewerten, das sind geistige Aktivitäten, die kaum mit dem IQ in Verbindung stehen.
    Zwischen mentaler Potenz und dem Charakter besteht nur ein geringer Zusammenhang. Um Stanovich zu zitieren: »Viele verschiedene Studien mit Tausenden von Versuchspersonen deuten darauf hin, dass das Ausmaß der Intelligenz nur mittelmäßig bis geringfügig (mit einem Faktor von unter 0,3) mit bestimmten kognitiven Fähigkeiten korreliert (zum Beispiel dem aktiv-unvoreingenommenen Denken und dem Bedürfnis nach Erkenntnis) und fast überhaupt nicht mit anderen (wie etwa mit Gewissenhaftigkeit, Wissbegierde und Fleiß).« 23
    Viele Investoren beispielsweise sind recht intelligent, aber sie verhalten sich selbstzerstörerisch, weil sie allzu großes Vertrauen in ihre Intelligenz haben. Zwischen 1998 und 2001 erwirtschaftete der Firsthand Technology Value-Investmentfond eine jährliche Gesamtrendite von 16 Prozent. 24 Die einzelnen Anteilseigner dieses Fonds verloren im selben Zeitraum durchschnittlich aber 31,6 Prozent ihres angelegten Kapitals. Wieso? Weil diese Schlaumeier glaubten, sie könnten genau zum richtigen Zeitpunkt Wertpapiere kaufen beziehungsweise verkaufen. Dabei verpassten sie die Tage mit den höchsten Kurssprüngen nach oben und erwischten stattdessen die Tage mit den stärksten Kursverlusten. Diese eigentlich klugen Köpfe verhielten sich letztendlich also ungeschickter, als wenn sie grundsätzlich phlegmatisch und dumm gewesen wären.
    Andere Menschen schneiden bei IQ -Tests zwar gut ab, aber sie sind unfähig, längere Zeit an einem Arbeitsplatz zu bleiben. James J. Heckman von der University of Chicago u.a. verglichen die Arbeitsleistung von Highschool-Absolventen mit derjenigen von Highschool-Abbrechern, die über die Teilnahme an postschulischen GED -Prüfungen die Hochschulreife erlangten. Diejenigen, die die GED -Prüfung bestanden, waren genauso intelligent wie Highschool-Absolventen, die nicht aufs College gingen, aber sie verdienten weniger als die Highschool-Absolventen. 25 Tatsächlich hatten sie niedrigere Stundenlöhne als jene, weil sie bei sogenannten nicht-kognitiven Merkmalen wie Motivation und Selbstdisziplin schlechter abschnitten. Die GED -Absolventen wechselten viel häufiger ihren Arbeitsplatz, und ihre Erwerbsquote war niedriger als die der Highschool-Absolventen.
    Im Spitzenbereich intellektueller Leistungen hilft die Intelligenz kaum, um herausragende Genies von allen anderen zu unterscheiden. Die größten Denker scheinen geistige Fähigkeiten zu besitzen, die über das rationale Denken im engeren Sinne hinausgehen. Ihre Fähigkeiten lassen sich nicht fest umreißen, sie sind ganz und gar wolkenartig. Albert Einstein zum Beispiel ist zweifellos ein Musterbeispiel für naturwissenschaftliche oder mathematische Intelligenz. Aber bei der Lösung von Problemen nutzte er seine Fantasie, innere Bilder und sogar körperliche Empfindungen. »Die Wörter der Sprache, ob in schriftlicher oder mündlicher Form, scheinen in meinem Denkmechanismus keine Rolle zu spielen«, sagte er Jacques Hadamard. Vielmehr würden seine Intuitionen von »gewissen Zeichen und mehr oder minder klaren Bildern ausgehen«, die er manipulieren und kombinieren könne. »Die oben erwähnten Elemente sind, in meinem Fall, visueller und manche auch muskulärer Natur«, so Einstein. 26
    »Ich kann nur in Bildern denken«, erklärte der Physiker und Chemiker Peter Debye. »Es ist alles visuell.« Er sagte, wenn er an einem Problem arbeite, sehe er verschwommene Bilder, die er in seinem Kopf nach und nach scharfzustellen versuche, und dann, wenn das Problem weitgehend gelöst sei, kläre er die Bilder mit Hilfe mathematischer Berechnungen. Andere verfahren akustisch, indem sie bestimmte Laute wiederholen, die mit gewissen Ideen verknüpft sind. 27 Wieder andere setzen auf Emotionen: 28 »Man musste seine Gefühle benutzen«, erklärte Debye,

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