Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
oder?«
    »Er liebt ihn nicht«, sage ich und schüttele den Kopf.
    »Der Mann ist halb wahnsinnig. Jeder kann das sehen. Brabbelt ständig vor sich hin, und dann seine Wutausbrüche und Weinanfälle. Der gehört in eine Irrenanstalt. Aber ich habe dich noch gar nicht gefragt, wie es dir geht?«
    »Mir geht’s gut«, sage ich und will nicht, dass sich die Unterhaltung mir zuwendet.
    »Du warst krank.«
    »Ja.«
    »Zwischenzeitlich habe ich gedacht, es wäre um dich geschehen. Der Arzt hat dir keine großen Chancen gegeben, dieser verdammte Narr. Ich habe ihm gesagt, dass du das durchstehst. Dass du aus härterem Holz geschnitzt bist, als er denkt.«
    Ich lache kurz auf und fühle mich geschmeichelt. Dann sehe ich ihn überrascht an. »Du hast mit dem Doktor gesprochen?«, frage ich.
    »Kurz, ja.«
    »Wann?«
    »Als ich dich besucht habe, natürlich.«
    »Aber sie haben gesagt, ich hätte keinen Besuch gehabt. Ich habe danach gefragt, und sie taten so, als wäre ich verrückt, überhaupt auf eine solche Idee zu kommen.«
    Er zuckt mit den Schultern. »Also, ich war da.«
    Drei Soldaten kommen hinter einer Ecke hervor, neue Rekruten, ich bin ihnen schon begegnet, und sie zögern, als sie Will da sitzen sehen. Sie starren ihn an, bis einer ausspuckt und die beiden anderen es ihm nachtun. Sie sagen nichts, wenigstens nicht offen zu Will, aber ich kann hören, wie sie im Vorbeigehen »Verdammter Feigling« murmeln. Ich folge ihnen mit dem Blick, bis sie außer Sicht sind.
    »Ist ja auch egal«, sagt er leise.
    Ich sage ihm, er soll ein Stück rücken, und setze mich neben ihn. Ich muss immerfort daran denken, dass er mich besucht hat und was das bedeutet.
    »Denkst du nicht, du könntest das alles erst mal beiseiteschieben?«, frage ich. »Deine Bedenken, meine ich. Bis alles vorbei ist?«
    »Wozu sollte das gut sein?«, fragt er. »Das muss gesagt werden, während die Kämpfe noch andauern. Sonst bringt es überhaupt nichts, das musst du doch verstehen.«
    »Ja, aber wenn sie dich hier nicht wegen Feigheit erschießen, schicken sie dich zurück nach England. Ich habe gehört, was sie mit Verweigerern in den Gefängnissen zu Hause machen. Da hast du Glück, wenn du überlebst. Und danach, was denkst du, was aus deinem Leben wird? In der feinen Gesellschaft wird dich keiner mehr haben wollen. Das ist mal sicher.«
    »Deine feine Gesellschaft kann mich mal«, sagt er mit einem bitteren Lachen. »Warum sollte sie mir was bedeuten, wenn das hier das ist, wofür sie steht? Und ich bin kein Feigling, Tristan. Mit Feigheit hat das alles nichts zu tun.«
    »Nein, du bist ein Absolutist«, antworte ich, »und ich bin sicher, du denkst, ein klares, sauberes Wort dafür zu haben, rechtfertigt alles. Aber das tut es nicht.«
    Will starrt mich an, nimmt die Zigarette aus dem Mund und zupft mit Daumen und Zeigefinger etwas Tabak zwischen seinen Schneidezähnen hervor. Er wirft einen kurzen Blick darauf und schnipst ihn weg. »Warum ist dir das alles überhaupt so wichtig?«, fragt er. »Was soll das nützen, dass du hier so mit mir redest?«
    »Ich habe den gleichen Grund wie du, als du mich im Sanitätszelt besucht hast«, sage ich. »Ich will nicht, dass du einen schrecklichen Fehler machst, den du für den Rest deines Lebens bereust.«
    »Denkst du nicht, dass du das alles einmal bereuen wirst?«, fragt er. »Wenn das hier vorbei ist und du wieder sicher in London sitzt, glaubst du nicht, dass du dann nachts aufwachst, weil dich die Bilder all der Männer, die du umgebracht hast, bis in den Schlaf verfolgen? Willst du mir ernsthaft erzählen, du glaubst, dass du das alles hinter dir lassen kannst? Ich denke, du hast darüber nur noch nicht richtig nachgedacht«, sagt er, und seine Stimme wird kälter. »Du redest von Feigheit und feigen Verweigerern und klammerst dich selbst aus deinen Überlegungen völlig aus. Du kapierst es nicht, oder? Dass du der Feigling bist und nicht ich? Ich kann nachts nicht schlafen, Tristan, weil ich an den Jungen denken muss, der sich in die Hose gemacht hat, ehe Milton ihm die Pistole an den Kopf gesetzt hat. Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich, wie sein Gehirn auf die Wand des Grabens spritzt. Wenn ich noch einmal dahin zurückkönnte, würde ich Milton eine Kugel in den Kopf jagen, bevor er den Jungen erschießen kann.«
    »Dafür wärst du erschossen worden.«
    »Das werde ich sowieso. Was, denkst du, besprechen die da drin? Dass es im Messezelt keinen anständigen Tee gibt? Die

Weitere Kostenlose Bücher