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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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fühle mich allein und brauche etwas Gesellschaft, und so beiße ich die Zähne zusammen, gieße mir einen Tee ein und trete vor ihn hin.
    »Guten Abend, Sir«, sage ich vorsichtig.
    Er braucht einen Moment, um den Blick zu heben, und als er es tut, sehe ich die dunklen Tränensäcke unter seinen Augen. Ich frage mich, wie lange er nicht geschlafen hat. »Sadler«, sagt er. »Sie haben dienstfrei, nicht wahr?«
    »Ja, Sir«, sage ich und deute auf die freie Bank ihm gegenüber. »Würden Sie lieber allein bleiben, oder darf ich mich zu Ihnen setzen?«
    Er starrt auf die leere Bank, als wäre er nicht ganz sicher, was die militärische Etikette in diesem Moment verlangt, zuckt mit den Schultern und bedeutet mir, dass ich mich setzen darf.
    »Es hat mir leidgetan, das mit Corporal Moody zu hören«, sage ich nach einer angemessenen Pause. »Er war ein anständiger Mann. Hat mich immer fair behandelt.«
    »Ich dachte, ich sollte seiner Frau ein paar Worte schreiben«, sagt Wells und zeigt auf das Papier und den Stift vor sich auf dem Tisch.
    »Ich wusste gar nicht, dass er verheiratet war.«
    »Es gibt auch keinen Grund, warum Sie das hätten wissen sollen. Aber ja, er hatte eine Frau und drei Töchter.«
    »Wird Sergeant Clayton seiner Frau nicht schreiben, Sir?«, frage ich, denn so wäre es normal.
    »Doch, davon gehe ich aus. Nur kannte ich Martin besser als alle anderen hier. Deshalb dachte ich, ich sollte ihr ebenfalls schreiben.«
    »Selbstverständlich«, sage ich, nicke und hebe meinen Becher Tee. Eine unerwartete Schwäche in meinem Arm lässt mich einen Teil davon verschütten.
    »Himmel, Sadler«, sagt Wells und bringt Papier und Stift in Sicherheit. »Seien Sie nicht ständig so fürchterlich nervös, das geht einem auf den Wecker. Wie fühlen Sie sich überhaupt? Besser?«
    »Recht gut, danke«, sage ich und wische den Tee mit dem Ärmel weg.
    »Zuerst dachte ich schon, wir hätten Sie verloren. Das ist das Letzte, was wir brauchen, noch einen Mann weniger. Viele von der ursprünglichen Truppe aus Aldershot sind nicht mehr da.«
    »Sieben«, sage ich.
    »Meiner Rechnung nach sechs.«
    »Sechs?«, frage ich und spüre, wie mir das Blut aus dem Gesicht weicht. »Wer ist denn noch getötet worden?«
    »Seit Ihrer Krankheit? Keiner, soweit ich weiß.«
    »Aber dann sind wir noch sieben«, sage ich. »Robinson, Williams, Attling …«
    »Jetzt zählen Sie bloß Hobbs nicht mit. Den haben wir zurück nach England geschickt. Direkt in die Klapsmühle. Hobbs wird nicht mitgezählt.«
    »Das wollte ich auch gar nicht«, sage ich. »Wir sind auch ohne ihn noch sieben: Robinson, Williams und Attling, wie gesagt, und dann noch Sparks, Milton, Bancroft und ich.«
    Corporal Wells lacht und schüttelt den Kopf. »Also, wenn wir Hobbs nicht mitzählen, dann auch nicht Bancroft«, sagt er.
    »Dem geht’s doch gut, oder?«
    »Wahrscheinlich besser als uns allen hier. Im Augenblick wenigstens. Aber hören Sie«, fährt er fort und verengt die Augen ganz leicht, als wollte er mich genauer in den Blick nehmen. »Sie und er, Sie waren doch mal Freunde, stimmt’s?«
    »In Aldershot standen unsere Betten nebeneinander«, sage ich. »Warum, wo ist er? Ich habe in den Gräben nach ihm Ausschau gehalten, ihn aber nirgends gesehen.«
    »Sie haben es also nicht gehört?«
    Ich schüttele nur den Kopf.
    »Der Gefreite Bancroft«, beginnt Wells und betont dabei jede einzelne Silbe, als wäre sie von größter Bedeutung, »hat bei Sergeant Clayton um eine Unterredung nachgesucht und die Geschichte mit dem deutschen Jungen noch mal zur Sprache gebracht. Sie haben davon gehört, stelle ich mir vor.«
    »Ja, Sir«, antworte ich. »Ich war dabei.«
    »Ach ja, richtig. Das hat er erwähnt. Auf jeden Fall wollte er, dass Anklage gegen Milton erhoben wird, und bestand mit deutlichen Worten darauf. Es muss bereits das dritte Mal gewesen sein, dass der Sergeant ihn zurückgewiesen hat, und dann hat sich das Gespräch zwischen den beiden erhitzt. Das Ende vom Lied war, dass Bancroft Sergeant Clayton seine Waffe übergab und verkündete, er werde sich nicht weiter an unserem Feldzug beteiligen.«
    »Und was bedeutet das?«, frage ich. »Was geschieht jetzt?«
    »Sergeant Clayton hat ihm erklärt, dass er es als Soldat nicht ablehnen könne zu kämpfen. Das sei eine Pflichtverletzung, für die er vors Kriegsgericht gestellt werden könne.«
    »Und was hat Will darauf erwidert?«
    »Wer ist Will?«, fragt Wells dümmlich.
    »Bancroft.«
    »Ach, der

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