Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
sage ich und bin nicht länger bereit, die Mutterrolle zu spielen. »Halt verdammt noch mal die Schnauze und geh jetzt. Tu deine Pflicht.«
Er heult, und ich schiebe ihn weiter, bis er zusammen mit einem runden Dutzend anderer vor einer der Leitern steht.
»Die nächste Reihe die Leiter hoch, marsch!«, brüllt Sergeant Clayton, und die Soldaten stellen nervös ihren Fuß auf die unterste Sprosse, wobei sie den Kopf ducken, um nicht eine Sekunde früher als notwendig aus der Deckung zu kommen. Auch der Junge vor mir setzt seinen Fuß auf die erste Sprosse, bewegt sich dann aber nicht von der Stelle. Wie erstarrt steht er da und stemmt den rechten Fuß fest in die schlammige Erde.
»Der Mann da!«, bellt Clayton und zeigt auf ihn. »Hoch! Hoch! Hoch jetzt!«
»Ich kann nicht!«, heult der Junge, und die Tränen strömen ihm nur so über das Gesicht, und Gott, hilf mir, aber ich habe jetzt genug, und wenn ich sterben soll, dann lass es bald geschehen, nur muss ich dazu erst selbst an die Reihe kommen, und so packe ich seinen Hintern, schiebe den Jungen die Leiter hoch und spüre sein Gewicht, das sich mir mit aller Kraft widersetzt. »Nein!«, schreit er flehend, und sein Körper gehorcht ihm nicht mehr. »Nein, bitte!«
»Hoch mit dem Mann!«, brüllt Clayton und kommt angelaufen. »Sadler, so schieben Sie doch!«
Ich tue es, ohne an die Folgen zu denken. Zusammen mit Clayton schiebe ich den Jungen weiter die Leiter hoch, und oben bleibt ihm nur der Weg über die Sandsäcke, er fällt auf den Bauch, und eine Rückkehr ist nicht möglich. Ich sehe ihn vorrutschen, seine Stiefel verschwinden aus meinem Blick, und ich wende mich Clayton zu, in dessen Augen der Wahnsinn flackert. Wir starren uns an, und ich denke: Was haben wir da gerade getan? , und schon wendet er sich wieder ab, und Wells befiehlt den Rest von uns nach oben. Ich zögere nicht, klettere die Leiter hinauf, werfe mich über die Sandsäcke und richte mich auf. Ohne das Gewehr zu heben, starre ich auf das Chaos um mich herum und denke: Hier bin ich, nehmt mich jetzt endlich, warum nehmt ihr mich denn nicht? Erschießt mich .
Ich lebe noch.
Die Stille ist erstaunlich. In einer Formation, die nichts mit der ordnungsgemäßen Aufstellung zu tun hat, die sie uns in Aldershot beigebracht haben, stehen wir da, ein jämmerlicher Haufen von etwa vierzig Mann, von denen ich nur einige kenne. Wir sind verdreckt, ausgelaugt, einige übel verletzt, andere stehen kurz davor durchzudrehen. Zu meiner Überraschung ist auch Will da, er steht zwischen Wells und Harding, die ihn bei den Armen gepackt halten, als könnte er davonlaufen. Will wirkt gehetzt und hebt kaum den Blick, nur einmal kurz, und als er zu mir herübersieht, scheint er mich nicht zu erkennen. Er hat tiefdunkle Ringe unter den Augen, und seine linke Wange ist geschwollen.
Clayton steht vor uns und schreit. Er erklärt uns, dass wir während der letzten acht Stunden unglaublich tapfer waren, und gleich darauf verdammt er uns als einen Haufen verängstigter Feiglinge. Richtig bei Verstand war er nie, denke ich, aber jetzt hat er vollkommen die Kontrolle verloren. Er plappert von Moral und dass wir diesen Krieg gewinnen werden, redet dabei aber mehr als einmal von den Griechen statt von den Deutschen und verliert wieder und wieder den Faden. Es ist offensichtlich, dass er nicht hier sein sollte.
Ich sehe zu Wells hinüber, den rangnächsten Mann, und frage mich, ob er begreift, wie kaputt unser Sergeant mittlerweile ist, aber Wells scheint dem Ganzen kaum Beachtung zu schenken. Es ist ja auch nicht so, als könnte er etwas unternehmen. Meuterei ist nicht möglich.
»Und dieser Mann, dieser Mann hier!«, schreit Clayton schließlich und marschiert zu Will hin, der überrascht aufsieht, als wäre ihm kaum bewusst, wo er ist. »Dieser Mann, der sich zu kämpfen weigert, dieser verdammte Feigling, was denkt ihr von ihm, Männer, er ist besser ausgebildet, wobei ich weiß, ich war derjenige, der ihn ausgebildet hat, die unerhörtesten Vorschläge macht er und legt dann den Kopf aufs Kissen in seiner Zelle, während der Rest von euch tapferen Burschen hier ist, um ausgebildet zu werden, nur ein paar Wochen, bis wir nach Frankreich kommen, um zu kämpfen, und dieser Mann hier sagt, er sei nicht in der Stimmung zu morden, dabei war er früher ein Wilderer, wie ich gehört …«
Und immer so weiter, ohne Ende, und nichts davon ergibt einen Sinn. Es ist nichts als ein Schwall entstellter Worte, die er
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