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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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betasten«, wie er es nannte.
    »Mehr hat sie mich natürlich nicht tun lassen«, sagte er. »Die Art Mädchen ist sie nicht. Nicht meine Sylvia.« Meine Sylvia! Die Worte drehten mir den Magen um. »Aber sie meinte, vielleicht gehen wir am Wochenende wieder hin. Falls es sonnig ist und sie eine Entschuldigung findet, um von ihrer Mutter wegzukommen. Die ist ein wahrer Drachen, sag ich dir.«
    Er redete weiter, wie ein Wasserfall, völlig übermannt von der Intensität seiner Gefühle. Es war offensichtlich, wie viel sie ihm bedeutete, und ohne auch nur einen Moment über die möglichen Folgen meines Handelns nachzudenken, überwältigt von der Kraft seines eigenen Sehnens, streckte ich die Arme aus, nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn.
    Das Ganze dauerte eine Sekunde oder zwei, nicht länger. Erschrocken wich er zurück, keuchte, stolperte über die eigenen Beine, während ich noch reglos dastand, starrte mich verwirrt an, dann angewidert, wischte sich mit der Hand über den Mund und betrachtete sie, als hätte ich etwas Schmieriges, Abscheuliches auf seinen Lippen hinterlassen. Natürlich war mir sofort klar, dass ich mich schrecklich verkalkuliert hatte.
    »Peter«, sagte ich, schüttelte den Kopf und war bereit, mich seiner Gnade auszuliefern, doch es war zu spät: Er rannte bereits aus dem Klassenraum, und seine Schuhe hallten über den Korridor, während er versuchte, so schnell und so weit wie nur irgend möglich von mir wegzukommen.
    Es ist erstaunlich: Unser ganzes Leben waren wir Freunde gewesen, und ich habe ihn nie wiedergesehen. Nicht ein einziges Mal.
    Nachmittags bin ich nicht in den Unterricht zurückgekehrt. Ich bin nach Hause gegangen, sagte meiner Mutter, mir sei schlecht, und überlegte, ob ich eine Tasche packen und davonlaufen sollte, bevor jemand herausbekam, was ich getan hatte. Ich legte mich aufs Bett, die Tränen kamen schnell, und dann hockte ich vor der Toilette und übergab mich. Ich hatte das Gefühl, mein Innerstes wolle aus mir heraus, spürte den Schweiß, die Erniedrigung und die Verdammnis. Wahrscheinlich hockte ich noch da, als der Rektor unserer Schule den Laden unten betrat, nicht um eine Lammkeule oder ein paar Schweinekoteletts für sein Abendessen zu kaufen, sondern um meinen Vater darüber zu informieren, dass eine Beschwerde gegen mich vorliege, wegen einer absolut abscheulichen, ekelhaften Handlung, dass ich in seiner Schule nicht länger als Schüler erwünscht sei und wegen dieses groben Verstoßes gegen die Sittlichkeit vor Gericht gebracht würde.
    Ich saß in meinem Zimmer, und ein merkwürdiges Gefühl von Ruhe ergriff mich, als befände ich mich nicht länger in meinem Körper. Eine kurze Zeit lang schwebte ich über allem, war ein himmlisches Wesen, das diesen jungen, hoffnungslos verwirrten Menschen auf seinem Bett sitzen sah, völlig verloren und voller Angst, was als Nächstes mit ihm geschehen würde.
    Ich wurde noch am selben Tag vor die Tür gejagt, und im Laufe der nachfolgenden Wochen begannen die Schwellungen und Striemen zu heilen, die mein Vater mir zugefügt hatte, die Wunden im Gesicht und auf dem Rücken schmerzten nicht mehr so, mein linkes Auge öffnete sich allmählich, und ich konnte wieder normal sehen.
    Ich protestierte nicht, als ich auf der Straße landete. Mrs Carter goss gerade ihre Hortensien und schüttelte den Kopf, enttäuscht darüber, wohin das Leben sie verschlagen hatte, wusste sie doch tief in ihrem Herzen, dass sie für etwas anderes als das hier geboren war.
    »Alles in Ordnung, Tristan?«, fragte sie.
    Das Pfarrhaus sah aus wie eine Postkartenfotografie. Es stand am Ende einer kleinen Sackgasse, die Bäume links und rechts begannen gerade ihre Blätter zu verlieren, und die Fenster des Gebäudes wurden von üppigem dunkelgrünem Efeu umwuchert. Ich warf einen Blick auf den makellosen Rasen des Vorgartens, auf die Farne und Pflanzen und den kleinen Steingarten in der Ecke des Grundstücks. Es war eine Idylle. Was für ein Gegensatz zu der kleinen Wohnung über der Metzgerei, in der ich meine ersten sechzehn Lebensjahre verbracht hatte.
    In der Diele kam uns ein aufgeregter kleiner Hund entgegen und sah uns fragend an, und als ich mich zu ihm hinbeugte, um ihn zu tätscheln, sprang er mit den Vorderbeinen gegen meine Knie, stand balancierend da, ließ sich geduldig kraulen und streicheln und wackelte geradezu ekstatisch mit dem Schwanz.
    »Bobby, genug jetzt«, sagte Marian und scheuchte ihn von mir weg. »Sie scheinen

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