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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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getan, das ist alles«, sagte Mrs Bancroft.
    »Und was hat er davon gehabt?«, fragte Marian, stand auf und trat ans Fenster. Sie sah auf die Dahlien und Chrysanthemen hinaus, die zweifellos von ihrer Mutter dort hingepflanzt worden waren.
    Ich setzte mich wieder und wünschte, nie hergekommen zu sein. Es kam mir vor, als sei ich auf die Bühne eines Dramas geraten, das schon seit langer Zeit währte, aber erst jetzt, mit meinem Erscheinen, auf seinen Höhepunkt zusteuerte.
    Ich hörte, wie sich die Haustür öffnete und schloss. Der Hund setzte sich auf und wusste, wer da gekommen war, wobei derjenige, so schien es mir, vor der Wohnzimmertür stand und zögerte, sie zu öffnen.
    »Mr Sadler«, sagte Reverend Bancroft, als er einen Augenblick später eintrat, meine Hand mit seinen beiden umfasste und mir in die Augen sah. »Wir sind so froh, dass Sie uns besuchen konnten.«
    »Ich fürchte allerdings, nicht lange bleiben zu können«, sagte ich und war mir bewusst, wie unhöflich das auf seine Begrüßung klingen musste. Aber das machte mir nichts aus. Ich hatte das Gefühl, genug Zeit in Norwich verbracht zu haben, und wollte nur noch zurück zum Bahnhof, nach London und in die Abgeschiedenheit meiner Wohnung.
    »Ja, es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe«, sagte der Reverend und sah auf die Uhr. »Ich wollte vor vier hier sein, bin aber in einer Gemeindesache aufgehalten worden, und dann ist mir die Zeit davongelaufen. Ich hoffe, meine Frau und meine Tochter haben Sie in der Zwischenzeit gut unterhalten?«
    »Er ist nicht hier, um unterhalten zu werden, Vater«, sagte Marian, die mit vor der Brust verschränkten Armen bei der Tür stand. »Unterhaltend ist es sicher nicht für ihn.«
    »Ich wollte Mr Sadler gerade nach den Briefen fragen«, sagte Mrs Bancroft. »Meine Tochter hat erzählt, dass Sie im Besitz einiger Briefe seien«, fügte sie hinzu, und ich nickte schnell und war dankbar für die Ablenkung.
    »Ja«, sagte ich und griff in die Tasche. »Ich hätte sie Ihnen gleich zu Anfang schon geben sollen, Marian. Deswegen bin ich ja überhaupt hier.«
    Ich legte das Päckchen auf den Tisch. Marian starrte die mit einem roten Band zusammengebundenen Umschläge an, trat aber nicht vor. Auf dem obersten war ihre ordentliche Handschrift zu erkennen. Ihre Mutter griff auch nicht danach, sondern wich zurück wie vor einer Bombe, die explodieren könnte, wenn man sie zu grob berührte.
    »Würdet ihr mich einen Augenblick entschuldigen«, sagte Marian endlich und lief ohne einen Blick in meine Richtung aus dem Zimmer. Bobby sprang ihr hinterher und schien auf ein kleines Abenteuer zu hoffen. Mr und Mrs Bancroft sahen ihrer Tochter mit stoischem, schwermütigem Ausdruck hinterher.
    »Unsere Tochter mag manchmal etwas spröde erscheinen, Mr Sadler«, sagte Mrs Bancroft und sah mich bedauernd an. »Besonders, wenn sie mit mir zusammen ist. Aber sie hat ihren Bruder sehr geliebt. Die beiden waren sich immer sehr nahe. Sein Tod hat sie schwer getroffen.«
    »Ich finde sie ganz und gar nicht spröde«, antwortete ich. »Wir kennen uns natürlich erst seit ein paar Stunden. Trotzdem kann ich ihren Schmerz und ihre Trauer gut verstehen kann.«
    »Es ist schwer für sie«, fuhr Mrs Bancroft fort. »Wie für uns alle natürlich, aber jeder von uns geht mit solchen Schicksalsschlägen unterschiedlich um, nicht wahr? Meine Tochter drückt ihre Trauer auf sehr nachdrückliche Weise aus, während ich es vorziehe, meine Gefühle eher nicht zu zeigen. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber so bin ich nun einmal erzogen worden. Mein Großvater hat mich aufgenommen, wissen Sie«, erklärte sie mir. »Nach dem Tod meiner Eltern. Er war Witwer und der einzige Verwandte, der mir geblieben war. Aber er war nicht gefühlig, das konnte ihm niemand vorwerfen, und ich denke, genau so hat er auch mich aufgezogen. Mein Mann dagegen neigt viel mehr dazu, sein Herz auf der Zunge zu tragen. Ich bewundere das sehr, Mr Sadler, und habe über die Jahre versucht, von ihm zu lernen, aber es geht nicht. Ich denke, wir sind das, was in der Kindheit aus uns gemacht wurde, und daran geht kein Weg vorbei. Würden Sie mir da nicht zustimmen?«
    »Vielleicht«, sagte ich. »Obwohl wir dagegen ankämpfen können, oder? Ich meine, wir können versuchen, uns zu ändern.«
    »Und wogegen kämpfen Sie an, Mr Sadler?«, fragte ihr Mann, nahm die Brille ab und putzte sie mit seinem Taschentuch.
    Ich wandte seufzend den Blick ab. »Um die

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