Das spanische Erbe
aus der Hand geben! Das bedeutete: kein Champagner, kein kurzes Kleid und auch kein mitternächtliches Bad im Meer!
Nachdem sie die Tiere gefüttert hatte, wollte sie den neuen Schönheitssalon aufsuchen, der in Mahon eröffnet hatte. Außerdem hatte sie vor, die Boutiquen unsicher zu machen und sich etwas Elegantes zum Anziehen zu kaufen. Normalerweise war sie nicht so verschwenderisch, aber sie hatte etwas Geld für Notfälle auf die Seite gelegt, und nach letzter Nacht war jetzt genau der richtige Augenblick, um es auszugeben! Wenn sie ganz Dame von Welt war, schaffte sie es vielleicht, Señor Ramon Perez zu beeindrucken! Einen Versuch war es jedenfalls wert.
“Oh ja!”, rief Annalisa und schenkte der jungen Kosmetikerin ein strahlendes Lächeln. “Lassen Sie sich ruhig Zeit. Die Tiere sind gefüttert, die Hausarbeit ist erledigt, und die Orangenhaine können auf sich selbst aufpassen.”
Sie lachte glücklich und sah zu, wie ihre Zehennägel glänzend rot lackiert wurden. An diesem Abend wollte sie wirklich schön sein! Ramon würde sie nicht wiedererkennen! Zufrieden lehnte sie sich zurück und ließ die Frau ihre Arbeit beenden. Danach stand die Algen-Behandlung auf dem Programm. Sie hatte keine Ahnung, was man genau darunter verstand, aber diese sollte eine Wunderwirkung auf die Haut und auch auf die Seele haben – und genau das brauchte sie!
Als sie am Nachmittag nach Hause fuhr, war Annalisa mit sich und der Welt im Reinen. Sie war noch beim Friseur gewesen und hatte sich ein neues, schickes weißes Kleid gekauft, das allerdings sehr teuer gewesen war. Aber das machte nichts – heute jedenfalls nicht, denn es war ein ganz besonderer Tag für sie. Sie wollte die Kontrolle über ihr Leben wiedergewinnen und sich auch einmal etwas verwöhnen. Jeder Zentimeter ihres Körpers war verschönert worden, und nachdem sie von Kopf bis Fuß mit einem dicken grünen Brei behandelt worden und dann mit einem eiskalten Wasserstrahl abgespritzt worden war, hatte sie das Gefühl, dass nichts und niemand sie mehr aus der Bahn werfen konnte. Doch da irrte sie sich gewaltig!
Als sie vor der Finca hielt, glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen. Sie sprang aus dem Wagen. “Was machen Sie da?”, schrie sie und rannte los. Dabei hatte sie ganz vergessen, dass sie bereits für ihre Verabredung mit Ramon angezogen war.
Sie kletterte über den Holzzaun und lief verzweifelt weiter. Einige Male stürzte sie, doch sie rappelte sich schnell wieder auf. Ihr neues weißes Traumkleid war schmutzig und an manchen Stellen zerrissen, aber es war ihr egal. Sie hatte nur Augen für die unzähligen, frisch geschnittenen Zweige, die auf dem Boden lagen. Schließlich erreichte sie die Lichtung, auf der sie den Eindringling entdeckt hatte.
Ihre Arme und Beine waren voller Schrammen, doch es störte sie nicht. Sie hatte nur ein Ziel: die Verstümmelung ihrer Orangenbäume aufzuhalten! “Was haben Sie getan?” Hilflos blickte sie auf die Katastrophe.
Der Mann, der das alles verursacht hatte, war schon alt, sein Gesicht sonnengebräunt und faltig. Er zog den verschlissenen Hut. “
Buenas tardes, señorita”,
sagte er und lächelte sie an. Seine Zähne waren gelb, und er hatte einige Lücken im Gebiss. Seine Sachen schienen schon seinem Vater gehört zu haben und waren sicher auch lange nicht mehr gewaschen worden. Der Alte trug verschiedene Astscheren an seinem Gürtel und betrachtete Annalisa neugierig. “Sie sind also Don Pedros Tochter”, stellte er auf Englisch, das einen sehr starken Akzent hatte, fest und tippte sich an die Brust. “Ich bin Enrique Caradonda.”
“Das ist mir egal”, antwortete Annalisa aufgebracht. “Was haben Sie hier zu suchen? Warum haben Sie das getan?” Anklagend zeigte sie auf die vielen Zweige. Von ihren Orangenbäumen waren nur noch hässliche Skelette übrig geblieben.
“Ich arbeite.” Enrique Caradonda schien beleidigt. “Señor Perez …”
Annalisa stöhnte leise. Natürlich! Das hätte sie sich denken können! Sie befahl dem Mann, alles stehen und liegen zu lassen und zu verschwinden.
“In Ordnung, Señorita”, erwiderte er, “es wird sowieso bald dunkel. Ich komme morgen wieder.”
“Auf gar keinen Fall!”
Doch Enrique Caradonda hörte gar nicht zu, sondern wandte sich ab und war gleich darauf verschwunden.
Annalisa betrachtete das Chaos und spürte, wie ihr die Tränen kamen. Sie hatte Ramon Perez vertraut …, und wie hatte er es ihr gedankt? Warum hatte er ihr so etwas
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