Das spanische Erbe
angetan? Konnte er es nicht erwarten, endlich die Marina zu bauen? Wenn er glaubte, sie damit von ihrem Grund und Boden verjagen zu können, hatte er sich getäuscht. Jetzt erst recht! So leicht warf sie nicht die Flinte ins Korn.
Sie atmete tief durch und versuchte, das Ausmaß des Schadens abzuschätzen. Die Bäume würden sich bis zur Ernte nicht mehr erholen, das war ihr klar. Und wenn sie keine Orangen verkaufen konnte, wie sollte sie dann finanziell das nächste Jahr überleben? Sie ballte die Hände zu Fäusten. Na warte, Ramon Perez, dachte sie aufgebracht. Sie würde ihm so richtig die Meinung sagen! Auf der Stelle!
Wenig später setzte sie sich in ihren kleinen, alten Wagen und drückte das Gaspedal beinahe bis zum Boden durch. Erbarmungslos raste sie durch die vielen Schlaglöcher und kümmerte sich nicht darum, dass sie heftig durchgeschüttelt wurde. Als sie in einen besonders tiefen Krater fuhr, ging der Motor aus und sprang nicht wieder an. Doch schließlich gelang es ihr, ihn wieder zum Leben zu erwecken, und sie machte sich weiter auf den Weg. Irgendetwas schien dabei beschädigt worden zu sein, denn sie hörte die ganze Zeit ein verdächtiges Knirschen, kümmerte sich aber nicht darum.
Als sie die Villa erreichte, kam Ramon gerade aus dem Haus und ging zu seinem Sportwagen. Anscheinend wollte er aufbrechen, um sie abzuholen. Die Mühe konnte er sich sparen! Sie bremste unvermittelt, der Motor ging mit einem stotternden Geräusch aus, und das Auto blieb nur wenige Zentimeter vor Ramons teurem Gefährt stehen. Schnell stieg sie aus und rannte auf Ramon zu. “Ich muss mit dir reden.”
“Wir können uns beim Abendessen unterhalten”, erwiderte er und betrachtete sie amüsiert von Kopf bis Fuß. “Ich glaube, ich habe den neuesten Modetrend verpasst. Sind Kleider mit Löchern und Schmutzflecken jetzt der letzte Schrei?”
“Hör auf damit!”, fuhr sie ihn wütend an. “Du hast vielleicht Nerven! Wie kannst du in solch einer Situation nur ans Essen denken!”
“Wieso?” Er blickte sie fragend an. “Wir waren doch verabredet, oder?”
“Das war, bevor …” Sie atmete tief durch, stützte die Hände in die Hüften und funkelte ihn finster an.
“Was habe ich denn nun schon wieder verbrochen?” Es war ihm deutlich anzumerken, wie verstimmt er war, und bevor Annalisa sich’s versah, hatte er sie am Handgelenk gepackt.
“Lass mich los.” Sie versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien.
“Ich will wissen, was los ist. Wir gehen jetzt ins Haus und besprechen die Angelegenheit.”
“Oh nein! Ich denke nicht daran, auch nur einen Fuß in dein …”
Er dachte nicht daran, sie ausreden zu lassen. “Du befindest dich auf meinem Grund und Boden, Annalisa, und hier entscheide ich.” Als sie nicht reagierte, hob er sie einfach hoch und trug sie in die große Diele. Er öffnete mit dem Fuß die Wohnzimmertür und setzte Annalisa auf das große cremefarbene Ledersofa. “So! Du erklärst mir jetzt, was geschehen ist.”
“Ich will es aber nicht!” Sie sprang auf.
“Moment!” Er hob die Hände. “Lass uns ins aller Ruhe darüber sprechen. Du bist aufgebracht …, aber warum?”
“Das ist die Untertreibung des Jahres! Meine Orangenbäume sind einem Vandalen zum Opfer gefallen und …” Sie hatte nicht das Geld, neue zu kaufen, doch das ging ihn nichts an. “Und du erwartest, dass ich bei so einer Katastrophe ruhig bleibe!”
Er reichte ihr ein weißes Taschentuch. “Hier. Wisch dir die Tränen weg.”
Ihr war noch gar nicht aufgefallen, dass sie weinte. Das war aber kein Wunder – nicht nach dem Schock, den sie erlitten hatte!
“Lass, ich mach das schon”, sagte Ramon schnell und nahm ihr das Taschentuch aus den bebenden Fingern. “Du siehst aus, als wärst du kopfüber in ein Schlammloch gefallen.”
Sie versuchte, ihn abzuwehren und berührte seine Brust, spürte seine Wärme und begann plötzlich, ihn zu liebkosen … Erschrocken ließ sie die Hände sinken. “Ich will eine Erklärung”, sagte sie und hoffte, dass er nicht merkte, wie verlegen sie war.
“Das hätte ich auch gern”, erwiderte er. “Das geht aber nur, wenn du dich hinsetzt und wir wie zwei erwachsene Menschen darüber reden.”
Es schien beinahe, als hätte er nichts bemerkt, doch Annalisa wusste es besser. Sie spürte seinen Blick auf sich, und es schien, als könnte Ramon direkt in ihr Herz blicken.
Sie setzten sich an einen großen Eichentisch, und Ramon lehnte sich zurück.
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