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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Verfügung, die uns bei unserem Aufklärungsritt unterstützte. Ich suchte mir ein paar Freiwillige (fand sie auch sofort!), mit denen ich zum Volksberg aufbrach.
    »Wo sind die übrigen Vendetten?«, fragte ich den Grenadier Mergel, während wir sichernd vordrangen. Die zu uns zeigende Flanke des Volksberges war von Farnkraut bedeckt. »Sie liegen noch auf Posten, Herr Oberlieutenant! Ich allein war in der unglücklichen Lage, wegen einer Beobachtung, die zu melden ich mich anschickte, Lieutenant de Saint-Victoire zu hinterbringen, gerade am oberen Ende des diesseitigen Abhanges zu erscheinen, als ...«
    Es verschlug dem Ärmsten erneut die Sprache.
    »Was haben Sie gesehen? Heraus damit!«
    »Es war nur ein Schemen – ein Aufblitzen, als wäre eine blanke Waffe gezogen worden. Der Mond war durch die zuvor dichten Wolken gekommen und spiegelte sich, ich weiß nicht, worin! Da hörte ich einen unbeschreiblichen Laut ...«
    »Trinken Sie einen Schluck – wir müssen es hinter uns bringen! Was für eine Waffe?«
    »Muss ein Schwert gewesen sein!«
    »Ein Schwert? Viel zu schwer ... indes: Womit sonst soll man einen Kopf abtrennen?«, sinnierte ich einen Moment lang. Dann war es für mich eindeutig und ich sagte: »Eine Axt! Handlich und leichter als ein Schwert! Die beste Waffe für den Kleinen Krieg!«
    Der Grenadier Mergel schauderte und sprach weiter, stockend, wahrscheinlich, um sich von der schrecklichen Vorstellung des Henkersbeiles abzulenken:
    »Als Nächstes sah ich ihn, den Lieutenant – er saß genauso auf dem Gaul, wie er später ins Lager kam. Sein Pferd schien den Weg auch ohne seine tatkräftige Anleitung zu finden. Ich warf mich auf den Boden, denn ich hielt seine Erscheinung erst für ein Spektrum – allein, was mir begegnete, war kein Geist. Das Pferd war ruhig, als wäre mit seinem Reiter gar nichts geschehen. Es ging mit dem Kopflosen seelenruhig in Richtung Lager. Ich rannte um mein Leben und kam weit vor der reitenden Leiche an. Die Szene war so gespenstisch, dass ich erst am Raunen der Kameraden im Lager bemerkte, dass sie wirklich war.«
    »Was ist mit dem Kopf? Was ist mit dem, der ihn seines Hauptes beraubte?«
    Christoph Mergel war die Blässe in Person.
    »Ich weiß es nicht, Herr Oberlieutenant!«
    Wir suchten am Boden und fanden die Stelle, an der die menschliche Quelle zuerst ihren Lebenssaft versprudelt. Der Boden war noch feucht vom Blut des Lieutenants, das unsrige indes nahe daran zu gefrieren. Saint-Victoires Kopf fanden wir nicht. Die vier Kundschafter kamen an die Reihe, sie waren aus dem Unterholz aufgetaucht, nachdem wir sie halblaut auf ihren Posten angerufen. Ich befragte sie, doch keiner wollte von dem Geschehen etwas gehört oder gesehen haben. Ich ließ sie sich zum Hauptlager retirieren, an dessen Flanken nun überall die Wachen verstärkt wurden. Mehr war nicht zu tun.
    Zwar darf man sagen, dass manches kleinliche Spiel der Leidenschaften in diesem ernsten Dienst des Lebens, welchen der Krieg darstellt, zum Schweigen gebracht wird. Doch war die grausame Wut, die uns nach dieser bestialischen Tat der Feinde beschlich – die wie Schemen im Schutze der Nacht angegriffen und ihr Blutwerk vollstreckt zu haben schienen –, kaum beschreiblich. Dies war eine neue Form des Krieges, wie wir sie nie zuvor erlebt hatten. Sie drohte uns auch im übertragenen Sinne »kopflos« zu machen.
    Wenn das blutige Schlachten ein schreckliches Schauspiel ist, so soll das nur eine Veranlassung sein, die Kriege mehr zu würdigen, aber nicht die Schwerter, die man führt, nach und nach aus Menschlichkeit stumpfer zu machen, bis einmal wieder einer dazwischenkommt und uns mit seiner scharfen Waffe den Kopf vom Leibe weghaut.
    Pro Patria!
    [Spätere Tintenzusätze von zwei unbekannten Händen:
    Der erwähnte Bericht über die Kapitulation der preußischen Restarmee unter dem Fürsten von Hohenlohe-Ingelfingen bei Prenzlau wurde entfernt und befindet sich bei den Armeeberichten des Jahres 1806.
    Nach der Legende, so man sich in der Gegend erzählt, spukt bei dem oberwähnten Volksberg der »Reiter von Rudersdorf«, Kaulwell mit Namen: als Reiter ohne Kopf (sic!). Besagter Kaulwell hat am 16. Oktober 1764 seine Frau ermordet und ist vom Hohen Gericht des Volksberges am 20. Juni 1766 durch das Schwert gerichtet worden.]
    Actum No. 3
    Darstellung der Ereignisse vor der Kapitulation des Generals der Infanterie Fürst zu Hohenlohe-Ingelfingen mit dem Rest der in der Schlacht von Jena und Auerstedt

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