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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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melden, so verstört war er:
    »Herr Oberlieutenant! Der Herr Lieutenant ... sind ...«
    Doch weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick erhob sich vor dem Zelt ein so unbeschreibliches Geschrei und Rumoren, dass wir sofort nach draußen stürmten. Ich hatte mir nicht die Zeit genommen, meine Jacke überzustreifen, sodass ich im bloßen Hemd auf der Szene erschien, was aber angesichts dessen, was ich sah, keinem weiter der Beachtung wert schien.
    Laternen und Fackeln erleuchteten eine Gasse. Viele unserer Männer, aus dem Schlaf aufgeschreckt, standen und starrten. Totenstille kehrte ein. Im Zentrum der Blicke bewegte sich ein Reiter. Langsam durchmaß das Pferd die sich teilende Masse der Soldaten und bewegte sich direkt auf mich zu. Ich konnte den Heranrückenden nicht erkennen, sein Kopf schien noch im Dunkel versteckt, doch ich sah an seiner Uniform, dass es der von mir ausgesandte George de Saint-Victoire war. Irritierend kam mir das dunkle Beinkleid des Lieutenants vor, das in der gleichen Farbe wie die Rocksäume und Aufschläge leuchtete – in flammendem Rot.
    Die Entfernung wurde geringer und geringer, das Raunen der Menge schwoll an, um dann zu verstummen. An der Art, wie sich die Hälse reckten und das Weiße der Augäpfel in der Dunkelheit aufleuchtete, wurde deutlich, dass etwas mit dem Reiter nicht stimmte. Bislang hatte ich ihn für erschöpft oder schlafend gehalten, denn er saß auf seinem Tier so steif wie ein Stock. Dann befiel auch mich die Kälte und die Knie drohten mir weich zu werden. Die roten Hosen waren rot und an der Flanke des Braunen sah man dunkle, wie Teer schimmernde Striemen.
    Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, wie träge und vom Gewohnten irregeleitet der menschliche Geist mit den Offerten des Auges verfährt! Warum sah ich nicht gleich, wie es sich mit diesen Striemen verhielt? Was konnte zugleich rot und schwarz aussehen, je nach der Farbe des Untergundes? Was schimmerte leicht, wenn es noch feucht war? Ja, zur Hölle, ganz recht: menschliches Blut! Es war ein breiter Strom davon gewesen, der am Hals des Mannes herabgelaufen – aus dem Halse, genauer gesagt, war es hervorgesprudelt wie aus einem offenen Brunnenrohr. O ja, ich sage offen, denn wo der Kopf des Lieutenants hätte sein sollen und den Hals nach oben abschließen – war nichts außer: Luft!
    »Holt ihn vom Pferd runter!«, wies ich die Umstehenden mit fast schon erstorbener Stimme an, als ich wieder denken und sprechen konnte. »Bringt ihn in mein Zelt und bedeckt ihn. Holt mir den Feldprediger Johann. Und lasst an die aufgeschreckten Männer Branntwein und Tobak ausgeben!«
    Ich brauchte selbst ebenfalls einen gehörigen Schluck. Die bereits unter den Soldaten entstandene Unruhe durfte auf keinen Fall zu offenem Aufruhr oder gar Meuterei führen. Das Bild des kopflos reitenden Kameraden war so schrecklich, und auch wenn es nur wenige aus der ganzen Truppe gesehen hatten, so würde es doch bald die Runde in den Erzählungen der Männer gemacht haben. Daher rief ich, so laut ich konnte, all jenen zu, die mich fixierten, als könnte allein ein Wort von mir Erlösung bringen:
    »Dies, Soldaten, ist des großen Napoleons grausame Art, Krieg zu führen. Auf wen, wenn nicht auf dieses Scheusal von einem Kaiser verweist uns dieser verabscheuenswürdige Anschlag? Im Krieg ist auch der Schrecken eine Waffe. Doch wenn der Korse glaubt, uns hier mit viehischer Schlächterei ins Bockshorn jagen zu können, dann hat er sich geschnitten! Wir sehen der Bestie in die Augen und bleiben ruhig! Wenn es auch schrecklich anmutet, einen der Kameraden auf solch schändliche Art malträtiert zu sehen – wenn wir jetzt den Kopf verlieren (auch ich wusste scheints kaum noch, was ich sagte), hat der Kaiser der Franzosen schon gewonnen. Lasst es ihm uns alsbald gehörig heimzahlen!«
    Ich hatte die Worte gut gewählt. Die Männer brachten ein Hoch auf mich aus. Indem ich den Schuldigen benannt hatte, war dem furchtbaren Erlebnis die Spitze gebrochen. Der Geköpfte wurde in mein Zelt geschafft. Der Feldprediger kam. Das war sehr wichtig, denn die Präsenz eines Geistlichen beruhigt die Gottesfürchtigen stets. Eine Wache vor dem Zelt sollte die Neugierigen fernhalten. Ich zog mir meinen Rock an, eilte erst zu Oberst Schimonski, dann zu Oberst von Lützow – unseren Divisionskommandeuren. Wir gingen zum Prinzen Wilhelm, der die Kavallerie unter sich hatte, und hielten Kriegsrat. Er stellte uns die reitende Batterie Willmann zur

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