Das spanische Medaillon
uns zu bilden bemühen –, und wenn er es tut, so kommen die Lektionen stets so unvorhergesehen und zahlreich, sind so erschütternd heftig wie Granatfeuer, dass es kaum möglich ist, auch nur annähernd alles gehörig aufzufassen und einzuordnen in eine Theorie der kriegerischen Auseinandersetzung, die uns doch so nötig ist, um unsere Operationen inskünftig zu verbessern.
Bei Auerstedt, einem an sich seelenlosen Dorfe unweit Sulza an der Ilm, wurde ich unversehens Zeuge einer solchen Lektion, die sich mir zuvor auch im enthemmtesten Taume nicht plastischer hätte darbieten können.
Es befindet sich im Kampfe, ja mehr noch in der Anbahnung und Vorbereitung eines solchen, der menschliche Geist in einer Art von Anspannung und höherer Wacht, sodass es fast unmöglich ist, einen festen Schlaf oder gar eine echte Rekreation zu finden, weshalb der augenscheinlich Ruhende nur eine schlechte Kopie eines Ruhenden, um nicht zu sagen: nur ein Zerrbild desselben ist.
Bei erwähntem Dorfe – recht eigentlich nur ein schmutziger, von Hühnern durchhuschter Weiler – war die Men-ge der unruhig »Ruhenden« in jener Nacht vor der Eskalation so groß, dass an Schlaf überhaupt nicht zu denken schien. Dass auch der König selbst nahebei unruhig schlief, tröstete uns wenig.
Während die meisten meiner Leute sich standhaft vormachen wollten zu schlafen, gab ich den Versuch rasch auf und überließ mich meinen noch sehr regen Gedanken. Ich hatte, die Ratschläge im Kapitel »Von denen Patrouillen gegen den Feind« aus der Abhandlung des göttlichen Ewald über den »Kleinen Krieg« befolgend – die niemalen aus meinem Tornister weichen soll! –, eine berittene Feldwache nebst fünf Kundschaftern ausgeschickt.
Dem Reuter, einem Lieutenant, von dessen vollkommenen Fähigkeiten ich restlos überzeugt war, gab ich den Befehl, hinter dem unserem Lager nahen Volksberg, einer öden Anhöhe mit alter Richtstätte, mit seinem Pferd auf Posten zu stehen. Seine Kundschafter oder Vendetten (wie Ewald sie nennt) sollten am Berghang nach Norden hin nach eventuellen Feindbewegungen Ausschau halten, um bei Gefahr rasch zu dem Berittenen zurücklaufen und ihn holen zu können. Er sollte sich, nachdem er sich selbst ein Bild gemacht, in Eile zum Lager zurückbegeben und Alarm schlagen.
Aus der Richtung, in die wir zogen und in welcher wir das feindliche Heer allenfalls vermuten konnten – wenngleich wir es unter keinen Umständen so rasch bereits erwarteten –, waren am Abend noch keine Anzeichen feindlicher Bewegungen bemerkt worden und wir erwarteten bis zum Tagesanbruch auch keinerlei Avancen von dort aus. Es erschien mir somit meine Ordre angesichts der völligen Stille zwar nur als Folge einer höchst theoretischen Vorsicht – und ich gehöre keineswegs zu denen, bei denen Vorsicht nur ein Mantel der Furcht ist! Doch was Ewald zu dem »Nachtzug« gesagt, hatte mich so aufgescheucht, dass ich innerlich bereits Napoleons Vorhut durchs taunasse und vereinzelt schon bereifte Kraut schleichen sah ...
Ich saß noch einige Zeit beim Funzellichte meiner Feldlaterne wach, lauschte dem tausendfältigen Murren, Atmen und Husten auf der Ebene und versuchte, mein folgenlos gebliebenes Aide-Mémoire über die Strategien der Guerilla mit Beobachtungen Ewalds aufzubessern, als mir doch die Augen zufielen. In dem üblen Nachtgesicht lag ich selbst in einem eisigen Graben und spähte angestrengt auf eine Stelle zwischen dicken Stämmen, die sich kurioserweise beständig einander annäherten, bis kein Durchblick mehr möglich war ...
Da wurde ich durch einen höllischen Lärm aus dem Schlaf gerissen. Ein Soldat hatte mich bei der Schulter gepackt und gerüttelt, doch dabei war das Feldtischchen umgefallen, auf dem nebst der Laterne noch mein Blechteller und meine Feldbouteille gestanden.
»Herr Oberlieutenant! Erbitten Meldung machen zu dürfen!«
Die Stimme klang gebrochen, furchtsam und schwach.
»Mach erst mal Licht, Mann!«, herrschte ich ihn barsch an. Aus weit aufgesperrten Augen starrte mich darauf, nachdem die Unordnung beseitigt war und der Docht wieder brannte, ein einfacher Grenadier aus unserem Bataillon an, den ich unterm Befehl des Lieutenants George de Saint-Victoire – verdienter Kämpfer von Austerlitz, der sich stets gegen eine Beförderung gewehrt, die ihm schon längst zugestanden hätte – draußen als Wache aufgestellt hatte.
»Mergel, war gibt’s? Warum sind Sie nicht auf Posten?«
Der Gute konnte kaum zusammenhängend
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