Das spanische Medaillon
Paar hatte sich, gleich nach Bekanntwerden des schrecklichen Vorfalls, nach meinem Wohlergehen erkundigt. Nun waren sie persönlich erschienen und ich glaube fast, dass es die Aura des Königtums war, die mich rettend aus der Umnachtung riss. Vielleicht war es aber auch einfach die Unruhe von sechs Personen um mich herum: Königin und König, Doktor Heim, meine Freundin Hermine, Cousine Evelyn und Jérôme.
»Ich freue mich ja so, dass du wieder lebendig unter den Lebenden bist!«, sagte Jérôme bewegt.
»Hat man ihn gefasst?«, war hingegen das Erste, was ich mit dick belegter Zunge fragte.
Ich trank von dem Kamillentee, den mir Heim reichte.
»Ich kann es gar nicht hören!«, sagte Hermine, die für ihre Ängstlichkeit berühmt war, und hielt sich tatsächlich die Ohren zu, während des ganzen Gesprächs.
»Sie haben Glück gehabt – der Akonit hat Sie ganz schön mattgesetzt!«, sagte Heim und ich entsann mich dunkel, dass dieses Gift schon bei der bloßen Berührung mit der Haut seine verderbliche, betäubende Wirkung entfaltet. Urgroßvater hatte auch seine Erfahrung damit gemacht. 1
»Er ist gebürtiger Franzose, ich hab’ es an seinem blendenden Französisch gehört. Er spricht eigentlich genau wie du!«, sagte ich zu Jérôme.
Die vier schauten sich bestürzt an. Im Hintergrund sah ich Evelyn die Hände vors Gesicht schlagen.
Zum König mit gespieltem Bedauern gewandt, beeilte Jérôme sich zu sagen: »Majestät halten zu Gnaden: Auch wenn er spricht wie ich: Ich war es nicht!«
»Wann hat man mich gefunden?«, fragte ich.
»Frühmorgens, am Freitag«, sagte die Königin, die mir eine wunderschöne Christrose mitgebracht hatte, die ich unentwegt anstarrte.
»Du warst so ruhig, dass die Waschfrauen des Kronprinzen dich erst auch für tot hielten«, ergänzte Jérôme.
»Wo waren die anderen Wäscherinnen?«, wollte ich erfahren, denn die Damen Schmidt gingen mir nicht aus dem Sinn.
»Lagen betäubt im Trockenraum«, sagte Jérôme.
»Das bedeutet, dass er es wirklich nur auf Körne abgesehen hatte. Er hat eine Liste. Er folgt einem Plan!«, schloss ich und war doch herb enttäuscht, dass sich niemand mit mir über diese doch sehr wichtige Erkenntnis freute.
»Haben ihn gesehen? Können ihn beschreiben?«, fragte der König.
Ich konnte es und tat es äußerst detailverliebt, bis hin zu den Rückenmuskeln und langen, schmalen Fingern, worauf Seine Majestät sagte:
»Danziger Von-Prittwitz-Husar? Vierundsechzig bei der Verleihung gewesen!«
Als ich das Motto erwähnte, das ich auf dem Medaillon gelesen, kam es wie aus einem Mund von König und Gatte: »Spanien!«
»Spanien?«, fragte ich.
»Spanien!«, antworteten sie.
»Spanien?« ...
Dies hätten wir so noch eine ganze Weile fortsetzen können, doch Jérôme zog es vor, abkürzend zu erklären:
»Das Motto Spaniens lautet – seit Kolumbus, nehme ich an: Immer weiter! Gemeint war wohl die äußerste Grenze der bekannten Welt. Heute nun ist ja längst alles in der Welt erforscht (so gut wie ...), trotzdem steht es noch so im spanischen Wappen.«
Immer weiter, das war ein recht passables Motto für einen tueur en série .
»Ein spanisches Medaillon also? Wir brauchen einen Experten, der genau angeben kann, wo es gefertigt wurde!«, sagte ich.
»Ich kenne jemanden«, sprudelte Evelyn hervor, »der Medaillons sammelt. Eine gute Kundin.«
»Lass sie uns umgehend aufsuchen!«, sagte ich, doch ich merkte, wie mich die Schwäche lähmend umfing.
Doktor Heim gab mir noch etwas Tee.
»Ich sehe morgen wieder nach Ihnen!«
Dann schlief ich erst einmal noch ein paar Tage.
Noch immer stand mir das Gesicht der Bestie so lebhaft vor Augen, dass ich auch später noch zu zittern begann, wenn ich an mein Erlebnis dachte.
Um mich zu beruhigen, formulierte ich die Grundregeln der Ermittlung im Falle einer Mordserie, wie sie auch bei der vorliegenden zur Anwendung kommen konnten.
Ich brauchte Gewissheit über das notwendige Vorgehen – nur so war die Angst zu bekämpfen. Außerdem lag ich geschwächt im Bett; was konnte ich also Besseres tun, als für meine künftige Dozentur an der neuen Berliner Universität die theoretische Grundlage zu formulieren? Da war zum einen das Zusammentragen aller Beobachtungen, die im Rahmen der einzelnen Vorfälle zu Protokoll genommen worden waren.
I.
Beschreibung/Charakterisierung
sowie Eingrenzung (Isolierung) von Täter und Tat
1. Täter
a) äußerliches/physisches Erscheinungsbild der Person und der
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