Das spanische Medaillon
begeisterte sich für die schönen Künste, interessierte sich für die Literatur, die Philosophie. Rosseau, der eine Zeit lang in Môtiers zugebracht hat (wo er begann, sich wie ein Armenier zu kleiden!), hatte einen Nachlassverwalter, in den sie sich verliebte: Peyrou. Mit ihm zusammen wollte sie Rousseaus Bekenntnisse herausgeben, doch ich glaube, sie legte es mehr darauf an, in Peyrous Bekenntnissen vorzukommen. Sie war damals eine der größten Schönheiten in Neuchâtel. Sie besuchte regelmäßig den Salon der Charrière, wo halb Europa das Debüt feierte oder rückhaltlos unterging. Wer sich im kleinen, verwunschenen Colombier behauptet hatte, konnte sich jedem Großen an die Seite stellen. Wer sich dagegen von den literarischen Richtern in der düstern Halle von Charrières Anwesen Le Pontet verworfen fand, durfte sich keine Hoffnung machen, jemals mehr Anerkennung zu finden ... Josephine Bertrand hat sich damals mit kleinen Romanen hervorgetan. Die Romanze Waldreben erfreute sich einige Wochen lang einer zweifelhaften Berühmtheit in der Schweiz. Doch sie hatte nicht das allergrößte Talent. Später, als sie bereits in Berlin war, schrieb sie eifrig selbst Gedichte – im Stil der unvergessenen Anna Louise Karsch übrigens –, die aber zum Glück niemand drucken wollte. Sie hätte sich ja nur selbst lächerlich gemacht. Sie hat sie immer an uns Mitarbeiter getestet. Wir waren ein wehrloses Publikum ...«
Er runzelte die Stirn, warf sich in Pose und rezitierte:
Ein jüngeres Lama
War engagiert für ein Drama!
Es hatte zu bestimmten Zeiten
Über die Bühne zu schreiten,
Die Leute anzugucken
Und zu spucken ...
»Das wäre ein Grund gewesen, sie umzubringen, finden Sie nicht?«, fragte ich.
Er lächelte unbestimmt.
»Literatur ist eben Geschmackssache ...«
Wir verabschiedeten uns und ich fragte mich, ob ich nicht genauso mit allen übrigen Freunden und Bekannten der Opfer hätte sprechen müssen, mit Kriegskameraden, Vorgesetzten, Angehörigen? Ich war sehr verzweifelt, dass dieser so wichtige Schritt kaum ansatzweise durchführbar war. Wiewohl ich rücksichtslos sein kann, wenn Not am Mann ist, so wollte ich doch keinen Kutscher unter Androhung von Strafe bis nach Danzig jagen ... Die Kassen waren leer, auch Jérômes und meine. Vom König war wenig zu erwarten, denn seine Schulden bei Napoleon waren gewaltig: Finanzminister Altenstein und sein Adlatus Nagler, die mit windigen Anleihen einen Teil der fehlenden hundert Millionen in Holland über dubiose Anleihen lockermachen wollten, drohten kläglich baden zu gehen. Napoleon war nur zu begierig, anstelle des Geldes Schlesien zu bekommen, womit alles zunichte geworden wäre, was noch an Größe aus der Ära des großen Friedrich übrig war. Der König sah die einzige Möglichkeit, dem schmachvollen Gebietsabtritt noch zu entgehen, darin, das Berufsverbot gegen Hardenberg aufheben zu lassen. Der französische Gesandte in Preußen, St. Marsan, erwirkte für ihn die Erlaubnis, den fähigen Finanzier wieder einzustellen. Doch deswegen bekam ich noch lange kein eigenes Budget für Dienstreisen.
Ich überlegte, wie ich trotzdem zum Ziel kommen könnte, und tröstete mich mit der Überlegung, dass, falls es tatsächlich eine Verbindung zwischen all diesen Menschen und Morden gab, ich sie auch bei dreien oder fünfen finden würde, wenn ich nur genau genug hinschaute. Eine verteufelt heikle Aufgabe! Herkunft und Werdegang der Bertrand etwa und Körnes – wer hatte je Unterschiedlicheres gesehen? Sie aufgewachsen in Neuchâtel, er in Magdeburg, sie von zu Hause weggelaufenes schwarzes Schaf, er der Stolz der Familie, Bordellbetreiberin versus Bordellbesucher ... Bei von Kapell und de Gélieu sah es zwar nicht ganz so verschieden aus: Aachen und Rouen lagen näher beieinander als Magdeburg und Nancy und sowohl der Sohn eines Hotelbesitzers als auch der Sohn eines Entenzüchters waren später zum Militär gegangen. Doch wo waren die entscheidenden Gemeinsamkeiten?
16
Am 10. März wurde die Königin 34 Jahre alt und ich war – da Jérôme zu diesem Jubeltag eine besondere Überraschung für die Majestäten vorbereitete – schon frühzeitig in Berlin. Die Feierlichkeiten sollten erst gegen zwei Uhr des Nachmittags beginnen, sodass ich noch jede Menge Zeit hatte. Ich suchte daher Körnes hinterbliebene Verlobte auf. Sie hieß Magdalena Mohler und war die Tochter eines Hufschmieds am Rosenthaler Tor. Es brauchte seine Zeit, bis ich zu ihr gelangte, denn die
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