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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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I/2 kaum etwas hinzuzusetzen in der Lage gewesen wäre, de facto aber auch zu I/3, II/1 sowie II/2a keine Neuigkeiten zu vermelden waren, konzentrierte ich mich für den Moment auf die Punkte II/3b und II/3c. Doch aus den Stammrollen des Militärs etwas Hilfreiches über die Opfer herauszufinden, in der Hoffnung, bei diesen Punkten weiterzukommen, war eine viel mühsamere Aufgabe als gedacht. Der Versuch nahm einen Großteil meiner freien Zeit in Anspruch, da ich zu diesem Zweck in die Garnisonsstädte Potsdam, Berlin und Rheinsberg fahren musste – zuzeiten, da der Schnee fast meterhoch lag.
    Meine Rechercheergebnisse waren dünn gesät und im Einzelnen leider wenig aussagekräftig: Der tote Saalfelder, den der Botanik-Professor gefunden hatte, war nicht nur kopf-, sondern auch namenlos, für den Auerstedter Torso, den kopflosen Reiter, war die Garnison Danzig zuständig; hier musste brieflich nachgefragt werden. Bis auf zwei (von Kapell und Körne) waren die Ermordeten gebürtige Franzosen. Was Deutsche und Exilfranzosen einte, war ihre Feindschaft gegenüber Napoleon. Das war ein gemeinsamer Nenner, der zwar klein, aber eindeutig war.
    Ich sprach mit den Angestellten der Madame Bertrand, soweit ich ihrer noch habhaft werden konnte. Doch sosehr es in ihrem Etablissement auch um Nähe gegangen war – körperliche Nähe –, so fremd und innerlich sternenfern war die Chefin ihren Damen und ihrem Personal geblieben. Am redseligsten und aufgeschlossensten war noch Aimé Vivant, ihr allseits geliebter und geschätzter Küchenchef. Ich traf ihn beim Zusammenpacken seiner Gerätschaften an, und als er mich sah, zuckten seine Augenwinkel wie die Muskeln einer Auster. Tränen liefen ihm über die roten Bäckchen und er sagte im überschwänglichen Weltschmerz der Bretonen:
    »Oh, Madame – der Himmel ist eingestürzt! Wie soll ich je wieder Seligkeit erlangen, wenn nicht im Elysium selbst? Der Allmächtige allein weiß es ... Gott schickt Sie, das spüre ich, damit es mir leichter werde, Abschied von meiner geliebten Küche zu nehmen. Sie sind der Engel, den er zu mir sendet. Wissen Sie, dass ich immer Ihren Großvater vor mir sah, wenn ich an Gott, den Herrn, dachte?«
    Der kleine, runde Mann vor mir heulte aus Leibeskräften.
    »Maître, das ist schön von Ihnen! Er war zwar nur mein Urgroßvater, aber ich stand ihm so nahe, als wäre er mein Vater gewesen! Hätte er die Gäste gesehen, die bei Ihnen speisten, er hätte sich wie in Sanssouci gefühlt! Soviel ich weiß, sind viele nur wegen Ihres Menüs hierhergekommen!«
    Er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
    »Marquise, ich hätte ihn so gerne näher kennengelernt! Ich bin 1740 in Strasbourg geboren, also in dem Jahr, als er wegging, um dem großen Friedrich zu dienen. Als ich alt genug war, auch fortzugehen, hat mich ein gnädiger Gott ins Fürstentum Neuchâtel geführt. So war ich in einem preußischen Fürstentum, wenn auch in einem Teil seines Landes, den Friedrich der Einzige nie betreten hat.«
    »Doch, einmal, inkognito! Langustier war mit dabei! Sie waren danach auch noch gemeinsam in Genf, Barcelona, Paris und London.«
    Die dreiste Behauptung sollte dazu dienen, die Fäden dieser Unterhaltung in der Hand zu behalten. Er schwieg offenen Mundes – überrumpelt! Diese Pause musste ich für mich nutzen:
    »Ich erzähle Ihnen die Geschichte demnächst! Heute jedoch muss ich Sie um Ihre Mithilfe bitten ...«
    Ich zeigte ihm das Schreiben von Friedrichs Großneffen, unserem König, das Vivant mit ehrfürchtigem Staunen betrachtete, und servierte ihm sofort meine Fragen:
    »Was könnte den Mörder bewogen haben, Hand an Madame Bertrand zu legen? War sie nicht allseits geliebt und beliebt?« Der kleine Koch bebte vor Mitteilungsfreude.
    »Allseits be- und ge…! Ein Todfeind? Kein Gedanke daran. Nichts, was in meinen Augen jemanden hätte bewegen können ...«
    Es dauerte einen Moment, bis er sich wieder ganz gefasst hatte.
    »Sie wurde in meiner Wahlheimat geboren, in Colombier, wo ihr Großvater die erste Apotheke betrieb. Sie ging fort, nach einer Auseinandersetzung mit dem Vater, der auch Apotheker war und sie gerne als Gehilfin im Haus behalten hätte. Damals kannte sie mich bereits – später hat sie sich meiner erinnert. Sie war viel zu freiheitsliebend, um sich ein Leben lang in der väterlichen Apotheke einsperren zu lassen – was dieser verknöcherte Mann offensichtlich vorgehabt hatte. Josephine war sein völliges Gegenteil. Sie

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