Das spanische Medaillon
–, bemerkte ich die beiden Gegenstände in seinen großen, hellbraun behandschuhten Händen viel zu spät. Ich weiß wohl, was ich andernfalls getan hätte: Gelaufen wäre ich, statt mich mit solcher Akribie in seine äußere Erscheinung zu versenken! So aber sah ich vor meinen Augen ohne weitere Vorwarnung das weiße Antlitz des jungen Theodor Körne auftauchen. Auf den Äpfeln der beiden weit aufgerissenen toten Augen spiegelten sich meine weit aufgerissenen lebendigen, denn so fleischlos Körnes Verse waren, so halslos und blutleer war nun sein Kopf! Ein paar träge rote Tropfen folgten noch dem Newton’schen Schweregesetz.
»Welch eine Freude, Ihnen endlich einmal persönlich zu begegnen!«
Die an sich wohlklingende, tiefe Stimme hatte den tödlichen Beigeschmack des Wahnsinns. Einen französischen Akzent glaubte ich wahrzunehmen. Meine Zunge war zu keiner Entgegnung fähig. Er ließ den Kopf in einen weißen Leinenbeutel fallen, den er mit der zweiten Hand hielt, in der auch das Beil ruhte. Körnes schwarze Haarsträhnen glitten durch seine langen, unheimlichen Finger ... Mit einem Wispeln kam der Kopf im Beutel zur Ruhe. Er legte ihn zusammen mit dem Beil beiseite – auf den geköpften Leib! – und nestelte an seiner Jacke herum, bis er eine feine goldene Kette zu fassen bekam. Ich wich langsam zurück, ein heiseres, unhörbar leises »Nein!« murmelnd, doch meine Bewegung war so schneckenhaft wie in gewissen dunklen Nachtmaren, in denen man so laufen müsste, wie man könnte, und laufen will, doch nicht von der Stelle kommt: Verzweifelnden Auges sah ich ihn die Kette langsam zwischen den Knöpfen seiner schwarzen Uniformjacke hervorziehen (es war die Uniform des Husarenregiments von Prittwitz, auch Totenkopfhusaren genannt) und so das Medaillon zum Vorschein bringen, das ich aus den Berichten bereits kannte. Es zeigte den heiligen Hieronymus, einen Schädel und den lateinischen, über zwei Säulen links und rechts geschriebenen Wahlspruch: Plus ultra! Er drückte es zwischen Daumen und Mittelfinger seiner Rechten, wodurch die Front als Deckel aufsprang. Bevor ich es hindern konnte, hatte seine Linke meinen Hals umschlossen: Eine gewaltige Kraft war in diesen ellenlangen Fingern, die man mit Fug und Recht eher Klauen nennen konnte, denn sie hatten etwas furchterregend Raubvogelhaftes. Der Zeigefinger der Rechten dagegen rührte im Inneren des Medaillons und brachte eine Kuppe voll Salbe hervor, worauf der Handballen den Deckel zudrückte, der mit einem Klicken wieder einrastete. Er rieb mir die Salbe an den Hals und sagte, seinen Mund ganz nah an mein rechtes Ohr bringend, das noch jetzt, da ich mich daran erinnere, vor Entsetzen taub wird:
»Robert Gélieu sprach so voller Bewunderung von Ihrem Mann. Nicht zu Unrecht, wie ich sehe, denn ein Mann an Ihrer Seite ist in der Tat zu bewundern! Wie schade, dass es keine nächste Begegnung geben kann.«
Es war ein Franzose – das war nun gewiss: Er hatte diese letzten Sätze in einem so gewählten Französisch gesprochen, dass mir fast schwindelte. Mein Geist wollte nichts mehr hören, doch das Bewustsein floh mich noch nicht gleich, wie sehr ich es mir auch gewünscht habe in diesem Moment. Ich sah sein schmerzlich verzerrtes Lächeln und spürte eine zunehmende Trockenheit im Mund. Sein Griff lockerte sich und ich sank – beim ersten Versuch, einen Schritt zu machen – neben den kopflosen Körne in die blutigen königlichen Laken. Ich sah, wie er das Beil am Koppel verstaute, sich den Beutel über die Schulter legte und den Waschraum verließ. Am schwarzen Tschako prangte silbern der Totenkopf. Der blutige Stumpf des toten Körne ruhte nur eine Kopflänge von meinem Auge entfernt. Ich wollte schreien, aber es ging nicht. Ich wollte die Augen schließen, aber es ging nicht. Immerhin konnte ich sie etwas wegdrehen. So lag ich da und starrte zur Decke. Irgendwann kam der Schlaf. Nie habe ich ihn so herbeigesehnt wie in dieser Nacht.
14
»Sie kommt zu sich! Frau von Schwerin! Friewi! Marquis! Doktor Heim! Sie kommt wieder zu sich! Meine Liebste, ich freue mich ja so! Sie waren lange abwesend, doch sehen Sie: Wir sind alle da! Wir haben Sie erwartet!«
Ich erkannte sie an der Stimme, bevor ich sie sah. Nichts Schöneres doch, als von einer Königin begrüßt zu werden, wenn man aus der Bewusstlosigkeit erwacht! Ich hatte, wie mir Jérôme später mitteilte, drei Tage in einem tiefen Dämmer gelegen, aus dem mich nichts hatte erwecken können. Das hohe
Weitere Kostenlose Bücher