Das spanische Medaillon
auch ihre zahlreichen Kinder blieben dort. Sie brauchen uns nicht zu interessieren. Wohl aber Maximilian Carlos, der vor zwei Jahren starb. Er hat drei Söhne – Ferdinand Felipe Maximilian, Carlos Felipe und Miquel Pedro ... Aufenthaltsort unbekannt – Soldaten der Grande Armée, vermutlich.«
Ich kramte mein Notizbuch heraus: Was hatte Gomms über die Fernando-Linie gesagt? Sie waren nach Neuenburg gegangen, wo auch seine Vorfahren, die Abkömmlinge der Juan-Linie, zuletzt gelebt hatten. Jetzt hatte ich also drei Namen. War er – der Mörder – darunter? Wer war es? Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte Jérôme:
»Ich tippe auf Ferdinand Felipe Maximilian – der heilige Maximilian wurde enthauptet.«
Ehe ich mich weiter mit Jérôme’schen Mutmaßungen aufhalten konnte (über die man mitunter nur den Kopf schütteln kann), mischte sich Richard räuspernd noch einmal ins Gespräch:
»Felipe Gomez, o my dear – sieh selbst!«
Mehr brachte er nicht über die Lippen, doch ich war innerlich zumindest so weit mit den Linien der Gomez/Gomms im Reinen, dass ich wusste: Die einstigen Medaillonträger waren die Brüder Juan und Fernando; Fernandos Nachkommenschaft hatte Richard mir gerade auseinandergesetzt. Felipe zählte zu Juans Nachkommenschaft ... Es wäre also allenfalls familiengeschichtlich interessant, was in dem vergilbten schmalen Oktavband stünde, den mir Richard gab. Ich las die deutsche Übersetzung eines spanischen Traktats über Felipe, die Bestie der Ciutadella in einem Zug durch, was nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Danach allerdings brauchte ich etwas Kräftigeres als Tee.
Ein Sturzbach des Blutes quoll aus diesem kleinen Buch, denn es bestand im Grunde aus nichts anderem als dem detailreichen Protokoll der Hinrichtungserlebnisse des Scharfrichters Felipe Gomez, der etwa berichtete, dass er bei der Hinrichtung eines Schmugglers so betrunken gewesen sei, dass er diesem erst irrtümlich einen Arm abschlug, oder dass der Kopf eines zum Tode verurteilten englischen Spions nach dem Durchtrennen des Halses mittels einer Faser Haares am Richtblock hängen geblieben sei, statt in den Korb zu fallen usw. Er hatte die Schraube an der Garotte so behutsam und langsam angezogen, dass er den Punkt, an dem das Leben in den Tod überging, auch ja nicht verpasste. 798 Exekutionen zum Trotz war er mit dem reinsten Gewissen hochbetagt vor Gott getreten.
Am selben Tag war auch per Post eine Abschrift der Neuenburger Akte über den Mord an der Charrière eingetroffen. Im Potsdamer Kriminalarchiv hatte sie seit vier Jahren Staub angesetzt. Jetzt lag sie auf meinem kleinen Mahagonisekretär und ich blätterte zunächst eher angewidert darin, denn der detailverliebte Bericht vom Zustand eines Bücherregals, vor dem ein Mensch geköpft wurde, ist für gewöhnlich alles andere als geeignet, mich neugierig zu machen: wie der Schwall des vom Herzen gepumpten Blutes in den Luftraum emporgeschossen war und sich, quasi als der rote Schatten eines Springbrunnens oder das eingetrocknete Abbild eines Geysirs oder einer zu Boden gehenden Fontäne, auf den Rücken der Bücher bleibend abgezeichnet hatte ... Irgendwie fehlte mir hier der Reiz des Neuen. Dann jedoch las ich unter den Namen der zum Verbrechen Vernommenen auch mehrere der namentlich bekannten Opfer unseres Beilmörders: Saint-Victoire aus dem Actum No. 2, von Posset aus dem Actum No. 3 ... Ich hatte wohl vermutet, dass die Treffen bei der Charrière von allen besucht worden waren. Jetzt wurde unmittelbar einleuchtend, dass es ein bestimmtes Treffen gewesen war!
Die Widmung im Buch für Körne fiel mir wieder ein. Ich kramte mein Notizheft hervor und las: Dem löblichen Mitglied unserer Jury am 23. Dec.1805 ... Isabelle de Charrière starb in der Nacht vom 26. zum 27. Dezember 1805 in Le Pontet, zu einem Zeitpunkt folglich, da die meisten, die vor Heiligabend in ihrem Haus zu Gast gewesen, schon aus Colombier verschwunden waren. Nicht so Körne, nicht so die Bertrand, wie ich der Zeugenliste entnehmen konnte. Zwei weitere Namen bewirkten, dass ich senkrecht auf meinem Stuhl saß und starrte: Heiner von Kleist und ... Hermine von Schwerin!
Sicher, beim ersten Clubtreffen der Freundinnen hatte sie gesagt, unmittelbar nach dem Tod der Charrière in Colombier gewesen zu sein, doch nicht, wie rasch danach! Und Kleist? Der Name Charrière war zwischen uns gar nicht gefallen, also wieso sollte er mir etwas darüber erzählt haben? Hermine hatte nur zu Protokoll
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