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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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lang währte dies. Auch nach all den ungezählten Tagen, die sie hingebracht in nie versiegender Freude und Erwartung auf das Wiedersehen, in einem seltsamen Zwischenreich zwischen Beten, Hoffen und Bangen, ersehnte sie noch immer die Stunde, in welcher wieder Post von Manuel käme.
    Aufs Neue weitete sich ihr Blick. Wieder ging die Sonne in ihrem Herzen auf, da der Bote mit einem Brief für sie den Hügel hochkletterte! Wie hell strahlte die Freude in ihren Augen und sie winkte dem alten einäugigen Pepe, der sich immer mit denen freute, denen er freudige Nachrichten brachte. Doch ihr Blick wurde irr, als sie dieses Mal die Tränen in des Alten Auge sah.
    Ein schwerer Gegenstand hatte den Umschlag beschädigt, sodass selbst der Postbote hatte sehen können, was er enthielt: das Medaillon, das Maria ihrem Manuel mit auf den Weg gegeben, auf das es ihn beschütze! Kalt fiel es ihr entgegen. Das Schreiben, in das es ein unachtsamer Sekretär des Heeres schludrig gewickelt hatte, war an einer Stelle eingerissen. Mit zitternder Hand entfaltete sie es. Lapidar wurde ihr darin mitgeteilt, dass Manuel im siegreichen Kriege sein Leben für das Vaterland gegeben habe und in heldenhaftem Kampfe gegen die Feinde des Landes gefallen sei.
    Sie schloss ihre beiden Knaben in die Arme und weinte bitterlich, tage- und nächtelang. Dann nahm sie den zehnjährigen Mario und den elfjährigen Manuel mit irren Augen an der Hand und schritt mit ihnen zur Kirche, nachdem sie sich einen Leinenbeutel mit einem schweren Gegenstand über die Schulter gehängt hatte.
    Am Altar, wo sie so viele Jahre zur gütig lächelnden Figur Mariens gebetet, bat sie die beiden Knaben, die Augen zu schließen und für die Seele ihres toten Vaters zu beten. Sie nahm das Medaillon mit dem heiligen Hieronymus, kletterte auf den Altar und legte es der Gottesmutter um den nackten Hals. Sie holte die mitgebrachte Axt aus dem Beutel über ihrer Schulter, nahm Maß und schlug der Heiligen Jungfrau Maria del Mar mit geschickter Hand und einem einzigen Schlag den hölzernen, polierten und lackierten Kopf ab.
    Die Söhne sahen, kaum dass sie die Augen wieder geöffnet hatten, wie die Mutter von zwei Padres weggeführt wurde. Sie erkannten voller Schrecken, was sie getan, griffen sich eilig das Medaillon und den Kopf der Jungfrau und gingen, da sich niemand ihrer annahm, traurig und aufgewühlt nach Hause.
    Ihre Mutter Maria wurde nach eiligem Prozess, den ihr der Großinquisitor des unbarmherzigen Herrschers gemacht hatte, mit der Guillotine zu Tode gebracht: öffentlich, auf dem Platz vor der Kirche der Heiligen Jungfrau, wo die beiden Söhne Mariens und Manuels, die man inzwischen in ein Waisenhaus gesteckt hatte, zusehen mussten.
    Obwohl hundert Padres und Nonnen die Kirche Santa Maria del Mar wieder und wieder abgesucht und das Unterste zuoberst gekehrt hatten, wurde der Kopf der Heiligen Jungfrau nicht gefunden, was allgemein als ein Zeichen für großes bevorstehendes Unheil gedeutet wurde.

22
     
    Am Montag, den 9. Juli fuhr ich wieder nach Berlin, um den Herausgeber der Berliner Abendblätter in seinem Büro aufzusuchen und zwei Annoncen aufzugeben.
    »Setzen Sie beide täglich hinein, es sind ja nur noch ein paar Tage. Einen Aufsatz, von Richard Bogue und Jérôme gemeinsam verfasst, soll ich Ihnen noch anbieten, aber ich sehe es natürlich ein, wenn er Ihnen zu technisch erscheinen sollte, um gebracht zu werden. Unter uns: Er ist sehr technisch! Sehen wir Sie in Großbeeren? Es gibt vielleicht etwas für Ihre Polizeirapport-Rubrik ... Auf alle Fälle aber wird es weder an optischen noch an Gaumensensationen fehlen. Wir hoffen, dass halb Berlin hinausfährt und mein Großonkel all seinen Himbeergeist verkauft! Nicht umsonst heißt er der Geist von Beerens Geist ...«
    »Na, ich denke, das lässt sich einrichten!«, schmunzelte Kleist und besah sich, wohlwollend nickend, meine beiden Vorlagen.
    Die
» R A K E T E N P O S T «
in Großbeeren !
Öffentliche Vorführung
!!! Mit Bewirtung !!!
    Unter der nominellen Schirmherrschaft Seiner Königlichen Majestät wird am Sonntag, dem 15. Juli, auf dem Gelände der von Beeren’schen Schnapsbrennerei in Großbeeren, unmittelbar vor den Toren Berlins, die neu entwickelte Bogue-Laland’sche Postrakete einem wissbegierigen und mit der neuen Zeit Schritt halten wollenden Publikum öffentlich präsentiert und in der praktischen Demonstration vorgeführt. Die beiden Erfinder sind anwesend und beantworten Fragen.
    Es werden

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