Das spanische Medaillon
gegeben, dass es ihr bei ihrer Ankunft in Colombier am zweiten Weihnachtstag nicht möglich gewesen sei, bei Madame Charrière vorzusprechen, dass sie aber den Eindruck gehabt habe, dass dieselbe anderen Besuch hatte. Le Pontet, dieses einem Dorfkrug oder Alpengasthaus nicht unähnliche Anwesen auf der Anhöhe, sei zwar mehrstenteils dunkel, ganz oben aber hell erleuchtet gewesen. Sie habe nach dreimaligem ergebnislosen Läuten den Versuch abgebrochen und sich auf die Suche nach einer anderen Herberge begeben. Der Pfarrer de Gélieu sei so gütig gewesen, sich ihrer zu erbarmen. Kleist hingegen war bei der Charrière gewesen, als sie noch gelebt hatte, am 26. des Mittags, wie er aussagte. Sie hatte ihm ein Bündel Manuskripte für den Abdruck überantwortet, denn er hatte sich dreist für einen Verleger ausgegeben. Damals hatte er an die Abendblätter nicht einmal denken können ... Vom Abend des 23., den er leider ebenfalls verpasst hatte (da er wie auch Hermine von einer terminlichen Umdisponierung nichts mitbekommen), wusste er infolgedessen nichts zu berichten. Blieben die Berichte der Teilnehmer vom 23. Dezember 1805 – ich summierte: Verlesung der Statuten (10 Sätze), Kammermusik der Damen Hintermayr und der Sängerin Le Presset, Lesungen No. 1–5 mit jeweils angeschlossener Wahl: Es wurden 4 von 5 eingereichten Werken für gut (Henning: Die Alpenrose, Gedicht / Brandtner: Das Geister-Floß, Gedicht / Ziegeler: Die heimlichen Brautleute, Novelle / Gutbrecht: Die Biberburg, Erzählung), eines für verwerflich erachtet (Gommes: Das spanische Medaillon) . Im letzten Fall sei es das besondere Vergnügen der Charrière gewesen, die sich durch Generationen fortschreibende Verworfenheit einer Familie und einer beruflichen Kaste am Objekt zu demonstrieren: Ihr Urteil fand einhellige Billigung durch die übrigen Juroren, die sie wie üblich zu Beginn benannt. Abschließend: Kammermusik der Damen Hintermayr und der Sängerin Le Presset, Weihnachtsansprache der Hausherrin .
Beigefügt war das Original des Manuskripts, welches sich im Sekretär der Geköpften befunden hatte.
Das spanische Medaillon
Im vorvorletzten Kriege war es, dass der gute Manuel, dem seine Frau Maria zwei Knaben geboren, die schon drei und vier Jahre alt waren, hinausziehen und seinen König gegen eindringende Feinde verteidigen musste. Maria küsste das Medaillon mit dem heiligen Hieronymus, das sie von ihrem Vater bekommen, und verwahrte eine Locke von sich darin. Am Altar der Heiligen Jungfrau Maria hatte sie es geweiht und nun legte sie es ihrem Manuel um den Hals, bevor sie ihn unter Tränen verabschiedete.
Tapferen Herzens wachte sie von da an Tag und Nacht in der Kirche Santa Maria del Mar, die beiden Knaben an ihrer Seite, und betete für das Leben ihres Gatten, denn sie wusste um die Schrecken des Krieges und die Grausamkeit der Menschen. Sie bestellte Haus und Garten, sie zog die Söhne groß. Der Krieg währte nicht Tage, nicht Wochen, nicht Monate und auch nicht ein Jahr, sondern sieben ganze lange Jahre ...
Jeden Tag wanderte ihr banger Blick um die Mittagsstunde von dem Haus den Hügel zum Meer hinab. Ob der Postbote sich etwa zeigen und ihr Nachricht von ihrem guten Manuel bringen wollte? Und wie oft schrieb er ihr anfangs, als er und seine Kriegskameraden noch guten Mutes waren, bald wieder nach Hause zu kommen! Wie sie dahinzogen gegen die andrängenden Feinde, davon schrieb ihr Manuel. Wie sie die Grenzen des Landes verteidigten und befestigten, mit nasser, braun gebrannter Haut die Gräben aushoben und die Wälle auftürmten: So sah sie ihn am Tage mit stolzgeschwellter Brust auf den Festungsanlagen paradieren und des Nachts mit nimmermüden Auges unterm Sternengezelt die Wache halten.
Oh, so vielen Feinden hatte er nach drei Jahren schon ins Weiße der Augen gesehen! Ungezählte von ihnen hatte er bereits getötet, um Maria und die Söhne zu schützen. Sie las von seinem Stolz, von seiner Zuversicht, von seiner Liebe zu ihr und stellte sich vor, wie die Männer an der Front allesamt ein Heer von Frauen und Kindern an den Herden und in den Gärten in ihren zurückgelassenen Gehöften beschützten.
Sie sah die anderen Frauen, die in der Kirche Santa Maria del Mar genau wie sie, die Kinder neben sich, die Kerzen der Heiligen Jungfrau weihten und betend ihre Tage verbrachten, und sie fühlte die Sehnsucht und den Schmerz der Trennung in breitem Strahl von der gewaltigen Kirche aufströmen. Vier, fünf, sechs, sieben Jahre
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