Das spanische Medaillon
Aufforderung an einen Kavalier hab’ ich ja noch nie gesehen!«
Die Damen lachten und Heim gluckste unterirdisch. Zum Glück verdeckte der Strohhut meine Bestürzung. Bei einer sogenannten Falle gibt es nichts Abträglicheres als zu viele Mitwisser. Schlechtendal, eine Handvoll verdeckt operierender Polizisten sowie Robert Bogue und Jérôme – das genügte in meinen Augen vollauf.
Als wir in Großbeeren eintrafen, war das Straßenkreuz, um das sich das von Beeren’sche Gutshaus und die wenigen Bauerngehöfte scharten, schon für Kutschen unpassierbar. Der Andrang beim Stralauer Fischzug war nicht annähernd so groß gewesen, woran meines Erachtens der Stellenwert der modernen Technik im Denken der Menschen abzulesen war. Wir fanden für die Kutsche einen freien Platz bei der Kirche und gingen die paar Schritte zum Gutshaus zu Fuß. Mein Großonkel Friedrich von Beeren, allseits aus naheliegendem Grund (Schnapsbrenner!) Geist von Beeren genannt, war trotz seiner siebzig Jahre noch quirlig und vollkommen Herr seiner Bewegungen. Er empfing uns auf der Freitreppe und führte uns in die Halle. Er lächelte verschmitzt und begrüßte erst Evelyn, Leo und Lulu, danach den grienenden Heim. Ein schmaler Kopf, von unzähligen Runzeln durchfurcht, im Gesicht zwei große, wache Augen, die stets dorthin gerichtet waren, wo etwas passierte. Graues, kurzes Haar, ein abgeschabter, aber perfekt sitzender Anzug.
»Gerardine, Mädchen – Menschenskind! Jérôme und Robert brennen draußen schon die ersten Vulkane ab. Sie wollen die Meute bei Laune halten, bis du kommst! Also rasch hinaus, damit es anfangen kann! Das Geschäft wird wohl erst so richtig gut, wenn es funktioniert hat! Wenngleich ich nicht gerade behaupten kann, dass es schlecht liefe ...«
Auf der Rückseite des Hauses kamen wir unter dem Altan heraus, der für die königlichen Gäste reserviert war. Links und rechts unter den Bögen standen die Mitglieder von Onkel Geists nicht eben kleiner Familie hinter den Verkaufstischen und wickelten ein, was das Zeug hielt: Urgroßtante Käthe, Großtante Ilse und die Kinder Erna, Lenchen, Adam und Hermann. Schlanke, hohe Flaschen mit Birnen-, Apfel-, und Beeren-Schnaps rollten munter über die roh improvisierten Verkaufstresen. Auf den farbigen Etiketten waren Raketen- und Kometenschweife abgebildet. Und am Hals einer jeden hing eine Postkarte mit einem Kupfer von einer Ansicht der Beeren’schen Brennerei. Geist von Beeren war und blieb ein Reklame-Genie! Daneben gab es Lose, die man bezahlen und gleich ausfüllen musste, wenn man am Gewinnspiel teilnehmen wollte. In einem kleinen halbierten Fass wurden sie gesammelt.
Wir schoben uns weiter nach vorne durch die Menge, um einen Blick auf das freie Feld zu erhaschen, das in etwa fünfzig Metern Entfernung nach einer Absperrung mittels eines farbigen rot-weiß geflammten Bandes begann und sich bis zum Ruhlsdorfer Wäldchen hin erstreckte. Mit einem Fauchen zündete eben ein aus Lehm und Schießpulver gebildeter, künstlicher feuerspeiender Berg ... Die Menge jubelte, was wie eine menschliche Antwort auf das ersterbende Röhren des Vulkanes klang.
Ich ließ Evelyn, Leo und Lulu in der Obhut Heims zurück, da ich mich zur Sicherheit von Schlechtendal und auch Jérôme und Robert als anwesend zeigen wollte. Gerade näherte ich mich der Absperrung, eingekesselt in einem Pulk von lauthals grölenden Teltower Bauern, als mich eine Hand von hinten an der Schulter fasste.
»Hermine! Meine Güte, hast du mich erschreckt! Was ist mit deinem Prinzen? Ist er auch hier?«
Jérômes Stimme lenkte mich ab und hinderte mich daran, ihre gestische Antwort wahrzunehmen. Durch eine Flüstertüte ließ er sich folgendermaßen vernehmen:
»Verehrte Damen, geehrte Herren, königliche Hoheiten! Eure Majestät!«
Ein Raunen ging durch die Menge und sämtliche Blicke fanden – von dem des Sprechers gelenkt – den Weg zu drei hageren Soldaten, die eben auf dem Gartenbalkon des Gutshauses erschienen waren und sich als König, Kronprinz und Prinz Wilhelm herausstellten. Der König hatte sein als Eingemachtes bekanntes Lächeln aufgesetzt und wartete geduldig, bis alle Blicke sich wieder abgewendet hatten, bevor er selbst von dieser Grimasse absah. Neben ihm stand, welch Wunder: Hardenberg!
»Mein Bestreben als Techniker und Fabrikant war es seit je, unser Zusammenleben zu vereinfachen und zu beschleunigen, und das Gleiche gilt für meinen Freund und technischen Compagnon Richard Bogue, der
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