Das spanische Medaillon
Heim.
»Weshalb so schreckhaft, meine Teuerste?«
»Die Aufregung, Doktor! Die Aufregung ...«
Auch der zweite Schuss gelang. Ich sah, wie sich der König einen Geist genehmigte. Als mein Blick umherschweifte, glaubte ich für eine Sekunde einen großen Mann mit breiten Schultern sich abwenden zu sehen. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Dann erblickte ich einen kleinen Jungen, der sich mühte, im Gedränge zu mir vorzudringen.
»Eine Nachricht für Sie!«, sagte er bloß und drückte mir einen Zettel in die Hand.
Ich würde Dich gerne jemandem vorstellen! Wir stehen am Obstkeller!
Hermine
Das passte mir nun irgendwie gar nicht. Aber die Neugier überwog. Nur einen Blick, ein Händeschütteln ... Ich hörte Jérôme den zweiten Gewinner ausrufen:
»Eine Flasche Geist für ... Heiner von Kleist!«
Das Grölen war unbeschreiblich.
»Da werden wir in den nächsten Tagen aber geistvolle Texte lesen, Herr Chefredakteur!«, ulkte Jérôme, während ich Kleistens verdutztes Gesicht durch die Menge schwimmen sah. Dann war ich um die Ecke des Stallgebäudes auf der rechten Seite herum. Das Gedränge bis dahin war so groß gewesen, dass ich Mühe gehabt hatte, vorwärts zu kommen. Jetzt wurde es besser.
Vor dem lang gestreckten Gebäude der Brennerei, das aus Brandschutzgründen völlig von allem Übrigen isoliert auf einer Wiese gelegen war, standen nur noch vereinzelte Besucher, denen es drüben zu laut und zu voll war. Dort, wo ich den Eingang zum Obstkeller vermutete, war niemand außer einem wildfremden Liebespärchen. Daher begab ich mich auf die Rückseite der Brennerei, wo allerdings überhaupt keine Menschenseele mehr zu sehen war. Ich ging weiter, um meine Umrundung zu vollenden, als es an einer Stelle von unten tönte:
»Pssst!«
»Hermine?«
Ich blickte in die dunkle Öffnung eines Kellereinstiegs. Zehn Stufen führten hinab. Grillen zirpten. Das Fauchen des dritten Raketenstarts war zu hören. Ich blickte zum Himmel hinauf, wo vor tiefem Blau ein paar kleine weiße Wolken hingen. Die Dampf- und Feuerstraße des Projektils schnitt hindurch. Was für ein erhebender Anblick! Da legte sich eine Hand auf meinen Mund, während eine zweite meine Taille wie eine Klammer umschloss. Ohne dass ich viel mehr als ein Zappeln und Röcheln zuwege brachte, sah ich mich ins klamme, düstere Innere eines Lagerkellers gezerrt.
24
Was ich sah, brachte mich fast um den Verstand: Das Beil war Hermines Freund!
Das Eulchen stand mit weißem Gesicht an einige aufgetürmte Fässer gelehnt, während er, Gomms, wie sein Vorname auch sein mochte, mir den Mund mit einem Knebel verschloss und die Arme und Beine mit Stricken band. Ich wand mich auf dem Boden und drohte zu ersticken. Seine Miene war nicht hasserfüllt, eher gelangweilt.
»Ach, Liebster, Max, lass es doch! Sie wird schon nicht schreien, stimmt’s? Nicht die starke Gerardine ...«, sagte Hermine und ihre Stimme klang spöttisch.
Ich nickte, halb taub vor Würgereiz. Er löste den Knebel und ich hustete und spuckte.
»Woher kennst du ihn?«, keuchte ich und gab mir selbst die Antwort. »Ach, lass, ich weiß: von deinem Besuch bei Pfarrer de Gélieu ... Die Rosa abyssinica, die ein Botanikprofessor bei dem Saalfelder Opfer fand und zu benennen wusste, stammte aus seiner Sammlung. Was hat dieser Namenlose ihm getan?«
Ich wagte es nicht, Ferdinand Felipe Maximilian Gomms direkt anzusprechen. Ich schauerte vor dieser Kälte zurück. Wie ein Hieb traf mich seine Stimme – ich kannte sie ja schon und inzwischen klang sie für mich wie die Stimme des Totenfährmanns:
»Dieser ›Namenlose‹ war der Schlimmste an diesem Abend, der schlimmste dieser blinden Gefolgsleute! Arnulf von Boddien, ein hehrer Ritter des reinen Geistes und der reinen Literatur, die keine Einmischung eines Mitglieds einer unehrenhaften Familie duldete. Die Charrière war die Hohepriesterin eines literarischen Hochadels, in dessen Kreise nur die Unbeflecktesten aufgenommen wurden. Doch bei mir sind diese Heuchler an den Falschen geraten ... Ich bin im Gespräch für die scharfe Antwort. Wenn es nur noch Vorurteil gibt und Lehrmeinung – dann wähle ich drastischere Waffen. Der Henker ist der eigentliche Aufklärer. Das ist in der echten Republik so, das sollte auch in der Literatur so sein. Die Charrière war die falsche Richterin. Die ihr folgten, waren der Same, der zertreten werden musste ...«
Ich blickte dem reinsten Irrsinn in die Augen. Hermines Stimme erhob sich und in ihrem Ton
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