Das spanische Medaillon
war das Bakterium des geduldeten Blutrausches zu spüren:
»Als sie mit ihrer großen Entdeckung herauskam ...«
»Du warst also doch dabei? An jenem Abend?«
Sie lächelte und fuhr fort:
»... der Entdeckung, dass Max einer Familie entstammte, die auf Felipe Gomez, die Bestie der Zitadelle, zurückreicht, weckte sie all die alten Vorurteile, die man diesem Beruf gegenüber hegt. Sie hob sich dieses Bonbon bis zuletzt auf und fand ihr williges Publikum. Mag sein, dass sie nur versuchen wollte, ob es ihr gelänge, durch ein Wort die Jury zu steuern – es war eine Weihnachtsüberraschung, die ihr und den anderen übel anstand. Sie war eine intrigante Frau, die ohne Not, aus purer Lust an der Enthüllung, ein großes Talent erstickte.«
Ich wollte mich nicht mit literarischer Kritik aufhalten. Eine Erzählung zu beurteilen, das ist so ziemlich das Schwerste, was es gibt.
»Ich habe den Eindruck, du sprichst aus Liebe – wie kannst du einen Mann lieben, der ...«
Hermine war rot vor Wut. Sie schien mir völlig verwandelt, ein ganz anderer Mensch. Nein, sie war ein Untier, ein Monstrum wie ihr Freund.
»Er ist die Stärke, die unserer Gesellschaft, er ist die Kraft, die unserer schlaffen Menschheit fehlt! Ich bin auch dafür, zu richten – doch nicht mit Stolz und Vorurteil, nicht mit den abgenutzten Werkzeugen des Rokoko und der Aufklärung. Was ist doch aus Ockhams stählern-scharfem Rasiermesser für ein stumpfes Stück pietistisches Blech geworden? Ich hasse die Heuchler und ich glaubte, in der Charrière eine zu finden, die das Banner der Unbeirrbarkeit hochhält. Ich fand eine schwache, alte, von Präjudikationen befallene kleine Provinzvettel, die ihren früheren Ruf ausnutzte, um über literarisches Leben und Sterben zu gebieten!«
Was zog Hermine für eine Kraft aus ihm? War es nicht die Gewalt der Familie Gomms, die hier auf fruchtbaren Boden gefallen war? Trug sie vielleicht schon sein Kind unterm Busen? Ich musterte ihre Figur, doch Ferdinand Felipe Maximilian Gomms drückte meinen Kopf zur Seite und presste ihn schmerzhaft an den Boden, sodass ich fast fürchten musste, mein Hals würde brechen.
»Was hat es mit Literatur zu tun, aus welcher Familie einer stammt? Auf bloße Anschwärzung dieser Hexe haben sie mich verurteilt – jawohl: Sie war Hexe und Scharfrichterin in einer Person! Eine falsche Richterin, eine moralisierende Furie ...«
An seiner Hand, die meinen Hals malträtierte, spürte ich, wie ihn der Wahnsinn bewegte.
»Es ist doch zum Verrücktwerden!«, schrie Hermine. »Gerade du musst das doch begreifen! Die größte Aufklärerin – die größte Diktatorin! Hinterhältige Verleumderin, die eine Bande von Hörigen zum Rufmord aufstachelte! Nach diesem Urteil, das freilich brieflich in alle Welt ging, konnte Max sich nirgends mehr blicken lassen, konnte seine Geschichten bei keiner Redaktion, bei keinem Verlag mehr unter seinem richtigen Namen anbieten! Ich blieb bei ihm, der sich fortan unter falschem Namen, mit immer neuen Verkleidungen und falschen Passeports durchschlagen musste: Man fahndete freilich damals schon in Neuenburg nach ihm ... Er wurde auf eine Wanderung getrieben, die wohl nie enden wird! Aber ich werde ihn begleiten! Ab jetzt sind wir einander völlig gleichgestellt ...«
»Keine Opern!«, fuhr er dazwischen und fragte mit schneidender Stimme: »Wo ist das Manuskript?«
»In meiner Jacke.«
Hermine griff in die Brusttasche meines Jacketts. Zugleich fuhr ich sie an:
»Du Teufelin – wie konntest du ihn decken? Hat er dich mit seinen Geschichten bezaubert? Du hattest schon immer einen verqueren Geschmack! Wäre ich in der Jury gewesen, ich hätte seine Geschichte auch für schlecht erklärt! Stilistisch mag es hingehen – doch der Inhalt ist so völlig ohne Moral. Hätte die Mutter am Ende die beiden Kinder enthauptet, so wäre nichts schlechter geworden.«
Ich wusste nicht, was ich sagte, ich hätte mich besser im Zaum halten müssen, doch jetzt war meine eigene Wut mit mir durchgegangen. Er lächelte und ich sah ihn wieder genauso nah vor mir wie im königlichen Waschhaus.
»Dann wäre ich nicht mehr auf der Welt! Einer der beiden war mein Großvater. Und das hier ist der Kopf der Madonna!«
Er hielt mir das faustgroße hölzerne Antlitz Mariens vor die Augen. Die Lackfarbe war im Laufe der Jahrzehnte fast ganz verschwunden. Das Holz glänzte vom vielen Angefasstwerden wie dunkler Honig.
»Wahrheit ist nicht immer das Einzige, was man in der Literatur
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