Das spanische Medaillon
braucht!«, sagte ich. »Auf die Vision kommt es an. Wo nur Blut und Dunkelheit herrschen, da will sich keiner lange aufhalten.«
»Was weißt denn du schon von guter Literatur?«, höhnte Hermine. »Hättest du nur aufgehört, ihn zu verfolgen!«
Niemals hatte sie eulenartiger ausgesehen als in diesem Keller der Beeren’schen Schnapsbrennerei.
»Wenn man seine Kritiker umbringt, ist man wahnsinnig. Dann gibt es kein Erbarmen. Auch wenn man sich noch so sehr im aufklärerischen Recht wähnt!«
»Wenn man nicht nach Qualität urteilt, sondern nach Herkunft und Kaste – dann und nur dann ist man wahnsinnig!«, keifte er und ich blickte in seine leeren Augen.
»Mach es kurz. Sie soll nicht leiden!«, sagte Hermine. »Ich liebe dich, deine Kraft wird uns beide immer davontragen aus diesem Jammertal.«
Mach es kurz. Sie soll nicht leiden ... Der mir so verhasste Spruch! Doch jetzt waren die Vorzeichen grausam vertauscht: Wenn die Mörder dies sagten, hatte es eine entmenschlichende Wirkung auf das Opfer. Ich war bereits das Tier, das gleich getötet würde.
»Ihr seid beide wahnsinnig!«, sagte ich. »Du warst noch nie gut im vernünftigen und klaren Denken, meine Liebe. Aber wenn du einen Mörder schützt, dann kann dir keiner mehr helfen!«
»Niemand kann ihm etwas beweisen. Wenn du nicht mehr lebst, sind wir frei!«
Da hatte sie, Irrsinn hin, Irrsinn her, im Prinzip recht ... Sie stand völlig in seinem Bann. Sein Wort war für sie Gesetz. So weit durfte Hörigkeit doch keinesfalls gehen! Sie lachte mir ins Gesicht.
»Hast du jemals eine Entbehrung gefühlt? Hast du jemals gelitten, weil du etwas nicht erreichen konntest? Nein, solche Gefühle kennst du nicht! Kennst nicht das Unrecht, das dir abspricht, was alle haben! Maximilian hat sein ganzes Leben unter der Zurücksetzung gelitten. Als er sie von diesen Monstren erfuhr, war es ein für alle Mal genug. Das Maß war voll – ich habe keinerlei Mitleid mit denen, die sich dem Zwang der Diktatorin beugten und so ihr Leben verwirkten.«
»Dafür wirst du bezahlen – wenn nicht vor dem Richter, dann vor Gott!«, sagte ich, die ich normalerweise den Namen des Herrn nicht leicht im Munde führe.
»Komm, du musst das nicht mit ansehen!«, sagte er und führte sie, die Hand zärtlich um ihre Hüfte gelegt, um die Fässer herum zur Türöffnung im Hintergrund, wo ich sie in der Dunkelheit nicht mehr erkennen konnte.
Kommt denn keine Rettung? Himmel, das kann doch nicht sein? Herrgott – Jérôme! Wo bist du? Dann fiel mir wieder ein, dass er ja unmöglich wissen konnte, wo ich abgeblieben war. Zu spät! Ich hörte die Tür gehen und seine Tritte sich nahen ... Die rauen Stricke schnitten mir ins Fleisch an Hand- und Fußgelenken, als ich mich verzweifelnd aufbäumte. Ein letzter Versuch, dann hielt ich still. Der Boden war kalt und feucht – dennoch schmiegte ich mich, gekauert liegend, an ihn. Heiß geliebte Heimaterde, die ich mich nun anschickte, für alle Zeiten zu verlassen! Ich wartete und sehnte mich nach Erlösung. Nichts kam, kein Bild stellte sich ein. Kein Fluss der guten und beseligenden Gedanken. Mein Herz stolperte im schnellen Klopfen ... Die Schritte nahten auf dem weichen Kellergrund. Mit weit aufgerissenen Augen suchte ich die Düsternis ab, lauschte mit überwachem Ohr auf jedes Geräusch. Es wären die letzten Eindrücke und ich liebte das Leben so sehr, dass es mir gleichgültig wurde, was ich sah oder hörte, solange ich es nur noch tat. Oh, käme Hilfe! Irgendwoher! Aber was kam, war nur die namenlose Schwärze. Das Sichwinden des eigenen Körpers, das Pulsieren des Blutes am Hals, der rasende, klopfende Herzschlag, das Pochen in meinen Schläfen, das Zittern, Schweiß auf der Stirn, ich fühle ihn rinnen. Ich wollte etwas sagen, doch das Wort stockte.
»Schschschscht!«, zischte die Stimme, die ich nicht hören wollte.
Meine Handfesseln wurden gelöst, doch der Schmerz blieb.
Der Kopf wurde kalt, als läge er auf einem Richtblock.
Eine brennende Kette fühlte ich am Halse liegen.
Nicht Freiheit, nur stumpfe, schale Schwärze.
Als trüge ich ein glühendes Halsband.
Das war die letzte Empfindung.
Scharfer Schuss, Taubheit.
Nichts weiter mehr.
Nichts mehr.
Nichts.
Nie.
.
.
.
Ein.
Licht.
Mehr nicht?
»Das soll der Himmel ...«
Sollte das etwa der Himmel sein?
»Sie fantasiert, das ist nur natürlich.«
»Der Himmel sieht nach Beerens Obstkeller aus!«
»Liebste, das ist Beerens verdammter Obstkeller, zur
Weitere Kostenlose Bücher