Das Spiel
Rose und zwinkerte Julia verschwörerisch zu. Julia grinste zurück und dachte unwillkürlich bei sich, dass sie Rose mögen könnte.
»Apropos Date.« Wieder lehnte sich Benjamin vor. »Wusstet ihr übrigens schon, dass eure ach so tugendhafte Stockwerkbetreuerin Isabel heimlich in Mr Forster verliebt ist? Ja, ich wette sogar zehn Dollar, dass sie ihm heiße Nachrichten per Mail schickt.« Er beugte sich über Julia hinweg und flüsterte der kichernden Debbie zu: »Ich habe vorhin gesehen, wie sie an der Essensausgabe ihre Hand auf seinen Hintern gelegt hat, als er mit einem halben Truthahn auf dem Teller an ihr vorbeiging. Er hat sich einfach nicht wehren können.«
Soweit Julia wusste, war Mr Forster der Leiter des Französisch-Departments. Er und seine Frau wohnten in einem der Bungalows für Angehörige des Lehrkörpers.
»Vielleicht hat Isabel ja Chancen bei Forster. Seine Frau passt jedenfalls überhaupt nicht zu ihm«, erklärte Rose überraschend boshaft und legte ihren Löffel beiseite. »Das ist die Einzige, die ich bis jetzt wirklich scheiße finde. Wie die Forster sich als Kunstdozentin eines Elitecolleges über Wasser halten kann, ist mir ein Rätsel.«
Rose war über ein Kunststipendium ans Grace gekommen. Laut Debbie hatte sie schon jede Menge Preise gewonnen, auch wenn Rose selbst es vorzog, nicht darüber zu sprechen.
»Angeblich ist der französische Impressionismus ihr Spezialgebiet.« Rose schnaubte. »Von wegen progressive Ausrichtung des Colleges mit Schwerpunkt auf eigenständigem Kunstschaffen der Studenten! Stattdessen setzen die uns eine Dozentin vor die Nase, die etwas von Degas und Monet faselt. Ich bitte euch! Das einzig Kreative an der ist, dass sie sich dreimal am Tag umzieht.«
»Besser als die blöden Umweltstudien, die ich ertragen muss«, sagte Debbie. Ihr Schwerpunkt war Geografie. »Hey, wir sind hier in den Rocky Mountains. Wozu muss ich wissen, wie ein Monsun entsteht? Ich glaube, vor den Abschlussprüfungen werde ich die meiste Zeit in der Bibliothek und im CD verbringen.«
»Tja, Erholung sieht anders aus«, gab Rose zu. »Das hier ist kein Luxushotel mitten in den Bergen, sondern …«
»Ein Bootcamp«, unterbrach sie eine heisere Stimme vom anderen Ende des Tisches und Julia sah unwillkürlich auf, direkt in irritierend schiefergraue Augen. Das Gesicht zeigte den Anflug eines Dreitagebartes.
Schnell schaute sie nach unten. Ihre Handflächen waren schweißnass. Seit zwei Tagen hatte Julia alles getan, um Christopher Bishop aus dem Weg zu gehen oder ihn zumindest zu ignorieren, was gar nicht so leicht war, weil er ständig mit David und Robert zusammenhing.
Aber jedes Mal, wenn Julia ihn traf, fiel ihr der Moment in der ersten Nacht am See ein – das Geräusch, als das Handy im See versank, und sein Blick, neugierig und gleichzeitig wissend.
Dabei konnte er nicht gesehen haben, was sie in das Wasser geworfen hatte. Oder doch?
Wenn sie ihn nur besser einschätzen könnte!
Während David sich definitiv als Good Guy ihres Jahrgangs erwies und Benjamin den Clownpart übernahm, passte Chris in keine Schublade. Gestern hatte Julia ihn ertappt, wie er in einer Tür lehnte und sie anstarrte, offenbar davon überzeugt, dass sie es nicht merken würde. Und heute in aller Herrgottsfrühe war er ganz unvermittelt am Seeufer aufgetaucht, als sie mit der Leichtathletikgruppe gerade vom Joggen kam.
»Glaubt mir, das Grace ist nichts anderes als ein Bootcamp«, fuhr er jetzt fort und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Aber eins kapier ich noch immer nicht. Wollen sie wirklich zukünftige Genies rekrutieren? Oder uns lieber wegsperren, weil wir zu intelligent sind für die Gesellschaft draußen?« Er verschränkte die Arme. »Was meinst du, Julia? Sollen wir gemeinsam fliehen? Gemeinsam über den Pass? The White Escape? Oder was hältst du davon, die ganze Bude in die Luft zu sprengen? Ich helfe dir dabei. Du siehst aus, als ob du Hilfe gebrauchen könntest.« Er blickte sie herausfordernd an. Julia spürte, wie es eng in ihrer Kehle wurde. Sie schnappte nach Luft.
Plötzlich erklang ein lauter Knall. Und ein zweites Mal schlug David mit der Faust auf den Tisch. »Halt die Klappe, Chris! Oder ich …«
Chris lächelte ihn spöttisch an. »Oder was, David?«
Plötzlich herrschte Stille am Tisch.
Es war Benjamin, der die Spannung löste. Er griff nach dem weißen Tischtuch, wischte sich die vom Ahornsirup klebrigen Finger ab und löste den Deckel vom Objektiv seiner
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