Das Spiel
verwunderten Blick zu. Ihre Augen wechselten von Dunkelgrau zu Schwarz und dann trat ein misstrauischer Ausdruck in ihr Gesicht. Offenbar fürchtete sie, Julia wolle sich mit ihr anfreunden.
Im nächsten Moment stand Chris neben Julia und sah sie mit diesem intensiven Blick an, den sie nicht einzuordnen wusste. Er deutete durch die Glasfront nach draußen. »Ich will noch runter zum See. Hast du Lust, mitzukommen?« Er ließ sie nicht aus den Augen. »Ich liebe stille Abende wie diese, wenn der See so wirkt, als wäre er tatsächlich aus Glas. Manchmal, ja manchmal bin ich versucht, irgendetwas hineinzuwerfen, nur um zu sehen, ob das stimmt.«
Angst schnürte Julia die Kehle zu.
Er wusste es. Er wusste sehr wohl, was sie in den See geworfen hatte! Die Frage war nur, was wusste er noch?
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid, ich … ich bin müde.«
Mann, ihre Stimme klang, als wäre eines ihrer Stimmbänder gerissen. Aber das war nur ein minimaler Defekt im Vergleich zu allem anderen.
Kapitel 7
Julia stand oben auf der Galerie und schaute unschlüssig hinunter in die riesige Empfangshalle. Jetzt nach dem Abendessen war das der Treffpunkt für die Studenten. Sie standen in Gruppen herum und diskutierten, was sie unternehmen wollten. Wenn sie Glück hatten, fanden sie einen freien Platz in einer der gemütlichen Sitzgruppen.
Julia entdeckte Alex und Isabel, die nahe dem Kamin dicht beieinandersaßen, miteinander redeten und lachten. Von hier oben sahen die beiden Betreuer sich unglaublich ähnlich: schlank, groß, blonde kurze Haare, braun gebrannt – gehörten beide zu den Typen, die im Sommer surften und im Winter auf dem Snowboard die Berge herunterrasten. Sogar ihre Frisuren verriet die Outdoorfreaks, also die Spezies Mensch, die frische Luft und ständige Bewegung zum Überleben brauchte. Aber zumindest von Alex wusste Julia, dass dieses betont lässige Aussehen täuschte. Es hieß, er sei einer der Besten seines Jahrgangs und ziemlich ehrgeizig. Laut Debbie war er sogar auf der Vorschlagsliste für ein Vollstipendium in Yale im Fach Medizin. Was wie die Faust aufs Auge passte. Er hätte jederzeit in einer dieser amerikanischen Krankenhausserien mitspielen können. Vermutlich würde er erst Menschenleben retten, dann einen Marathon laufen, um schließlich am Abend wunderschöne Assistenzärztinnen zu verfuhren.
Julias Blick schweifte weiter und sie entdeckte Rose, die quer durch die Halle nach draußen lief. Zu ihrer Überraschung war Robert bei ihr. Was hatten die beiden vor?
Keiner der anderen aus ihrer Gruppe war Julia gefolgt, als sie die Mensa verlassen hatte, und sie war heilfroh darum gewesen. Nach Chris’ merkwürdiger Anspielung musste sie dringend nachdenken und das konnte sie nur, wenn Debbie sie nicht die ganze Zeit mit ihrem aufdringlichen Gequatsche zumüllte oder Benjamin mit seinen Witzen nervte.
Die Frage war, was sie jetzt unternehmen sollte.
So wie es aussah, war ihre Strategie, einfach abzuwarten, die falsche. Es war ein verdammter Fehler gewesen, das Handy einfach in den See zu werfen. Ohne das Telefon war sie völlig abgeschnitten von der Außenwelt und verfügte über keine sichere Kontaktmöglichkeit nach draußen.
Natürlich, sie könnte eine E-Mail schicken.
Sie schob die Idee beiseite.
Definitiv nicht über den Server des Grace. Selbst wenn sie ihren alten Laptop dabeigehabt hätte, was nicht der Fall war, liefen alle Verbindungen über den Zentralrechner hier am College, und das Risiko wollte sie nicht eingehen. Damit schieden die Rechner im Computer-Department auch aus.
Das altbekannte Angstgefühl stieg in ihr hoch. Vor einem halben Jahr hätte sie noch geglaubt, man könne nicht leben mit dieser ständigen Panik. Und vielleicht konnte man das auch nicht, leben – aber überleben war möglich.
Sie rannte die Treppe hinunter. Nahm zwei Stufen auf einmal.
Es war einfach ein Impuls. Eine dieser Reaktionen, die man nicht plant, nicht überlegt. Manchmal war es gut, manchmal nicht. Man konnte es nicht wissen und gerade das war der Trick dabei.
In der Halle angekommen, ließ sie jegliche Höflichkeit außer Acht, die zu dem Image von Everybody’s Darling gehörte – und platzte ohne Vorwarnung einfach in das Gespräch zwischen Alex und Isabel. »Alex, kann ich dich was fragen?«
Ihr Studienberater blickte verärgert auf. »Jetzt nicht! Isabel und ich haben etwas zu besprechen!«
»Entschuldige, aber … wie kann ich morgen nach den Kursen nach Fields
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