Das Spiel
treten. Bald.
Doch niemand rief an. Und je mehr Zeit verstrich, desto abgeschnittener fühlte Julia sich von der Welt draußen.
Nein, sie fühlte sich nicht nur so – sie war definitiv abgeschnitten.
*
Am Abend des zweiten Tages saß Julia mit ihren Mitbewohnerinnen, Robert und den Jungs aus Roberts Apartment an einem Tisch in der Mensa. Sie tauchte den Löffel in den Teller mit dieser zähflüssigen Kartoffelsuppe, die Cham Chowder hieß, und in der unzählige Krabben schwammen, die sie zu spät bemerkt hatte. Sie hasste Krabben. Sie sahen aus wie benutzte Minitampons. Andererseits hatte Julia sowieso keinen Geschmack. Überhaupt schienen all ihre Sinne den Geist aufgegeben zu haben. Denn sie nahm auch das Gewimmel und den Lärm in der Mensa nicht wirklich wahr.
»Magst du die Suppe nicht?«, hörte sie Debbies Stimme links von sich und schon griffen die blassen, mit Sommersprossen übersäten Hände nach Julias Teller. »Mann, nach so einem Tag können ein paar Extrakalorien nicht schaden. Ein paar dieser Kurse sind echt der Hammer, finde ich. Vor allem, was Mathe betrifft. Ich habe kein Wort verstanden.«
»In Mathematik geht es ja auch um Zahlen. Das Fach mit den Worten nennt man Englisch«, erwiderte Benjamin rechts von Julia und legte seine Kamera auf den Tisch, um eine zusätzliche Schicht Ahornsirup auf den Pfannkuchen zu schmieren, der bereits von dem klebrigen Zeug triefte. »Und ich an deiner Stelle würde hier in den geheiligten Hallen nicht so lauthals verkünden, dass du etwas nicht verstehst.« Benjamin sah sich theatralisch um, bevor er sich vorbeugte und Debbie zuflüsterte: »Vergiss nie, wir Graceianer sind die zukünftige Elite! Die Säulen der Menschheit, ausgewählt durch die Heiligen Weihen der Aufnahmeprüfung! Wenn man denn unserem Philosophiegott Brandon glauben darf.« Er nahm einen Bissen von seinen Pfannkuchen und sagte mit vollem Mund: »Leute, ich hatte bis jetzt keine Ahnung, dass ich so ein wichtiges Amt bekleide. Dagegen ist ja der amerikanische Präsident lediglich ein Sesselpupser!«
Die anderen lachten.
Nur Julia musste sich zusammenreißen, um nicht mit den Augen zu rollen. Auch sie war in dem Philosophiekurs gewesen und hatte gehört, was Professor Brandon gesagt hatte. Und ihr war durch den Kopf geschossen, dass die meisten Studenten und selbst die Freshmen in ihrem Jahrgang dieses Motto offenbar bereits verinnerlicht hatten. Während die Kurse mit den Dozenten liefen, verhielten sie sich extrem elitär und ehrgeizig, was vermutlich kein Wunder war bei den Maßstäben, die am Grace angelegt wurden. Die Kehrseite allerdings war eine andere. Sobald die Studenten die Unterrichtsräume verließen, um in der Empfangshalle herumzuhängen, draußen auf dem Campus zu chillen oder einfach nur in ihren Apartments zu quatschen, drehten sich die meisten Gespräche um Partys, Alkohol und natürlich – Debbies Lieblingsthema – Sex.
»Ich finde viele der Dozenten okay«, erklang Rose’ angenehm weiche Stimme. »Und Brandon ist cool. Oder habt ihr schon einmal von einem Dozenten gehört, der seinen Hund mit in die Vorlesung bringt?«
Sie lächelte Julia an und Julia konnte gar nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. Rose Gardner, die das Zimmer neben ihr bewohnte, war schön, verdammt schön, nicht die Sorte von Schönheit, die bald verblasste, sondern ganz klassisch. Catherine Heigl, Scarlett Johansson und Julias großes Vorbild Kate Winslet. Gleichmäßig gebräunte Haut, und Zähne – dagegen war Elfenbein billiger Plunder! Ganz abgesehen von den Beinen, die Julia ihr sofort abkaufen würde.
Und die Glatze tat ihrer Schönheit keinen Abbruch! Im Gegenteil. Trotzdem fragte sich Julia noch immer, warum Rose sich die Haare abrasiert hatte.
Fest stand auf jeden Fall, dass sie sich damit von allen anderen abhob. Ob es sie aber auch unnahbar machte, wie Debbie behauptete? Julia hatte bis jetzt eigentlich nicht den Eindruck. Vermutlich war Debbie einfach nur glühend eifersüchtig auf ihre Mitbewohnerin, denn auffallen wollte Debbie auch, besonders bei den Jungs. Doch gegen Rose hatte keine von ihnen eine Chance.
»Rosie-Rose, du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass die Dozenten hier echt sind?« Benjamin runzelte die Stirn. »Nein, nein, die sind alle ferngesteuert.«
Wieder lachten alle.
»Ehrlich! Mr Lennon zum Beispiel hat heute im Einführungskurs Mathematik die Formeln direkt aus seinem Kopf an die Leinwand gebeamt! Ich konnte nicht mitschreiben!«
»Das wundert
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