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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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man sich leicht verirren.«
    »Danke, kein Bedarf!«, presste Julia hervor. »Ich verirre mich nicht so schnell.«
    »Bist du dir da wirklich so sicher?«, fragte Chris und seine Stimme nahm einen merkwürdig heiseren Unterton an. »Na, das haben hier schon ganz andere geglaubt.«

Kapitel 6
    Die ersten beiden Tage im Tal tat Julia nichts anderes als warten. Zumindest kam es ihr so vor. Und das war der Grund, weshalb sie das Geschehen um sich herum mit dem Blick des Außenseiters wahrnahm. Als blicke sie durch ein Mikroskop, das nicht richtig justiert war, sah sie alles hier oben im College seltsam verschwommen, unscharf und irgendwie vergrößert.
    Da Julia und Robert zu spät gekommen waren, hatten sie nicht nur die Begrüßungsrede des Dekans für die Freshmen versäumt, sondern auch viele wichtige Veranstaltungen der Orientierungswoche. Fühlte sich deshalb alles so unwirklich an?
    Vor langer Zeit, na ja, genauer gesagt vor einem halben Jahr, war sie zu spät in eine Kinovorstellung gekommen – an den Film erinnerte sie sich nicht mehr –, jedenfalls hatten Kristian und sie die ersten zehn Minuten versäumt. Das Ergebnis war, dass Julia bis zum Ende der Handlung keinen Anteil an dem Geschehen auf der Leinwand genommen hatte. Nur weil sie den Anfang verpasst hatte.
    Genau so ging es ihr hier an diesem College. Sie war allenfalls Statistin, auch wenn die Jahrgangsleiterin Mrs Hill, Alex und Isabel als ihre Betreuer und die anderen in ihrem Jahrgang sich um sie bemühten. Allzu sehr bemühten, dachte Julia manchmal genervt, wenn sie mal wieder auf Debbie oder David stieß, die sich besorgt erkundigten, ob sie ihr helfen könnten. Mir ist nicht zu helfen, hätte sie am liebsten geantwortet, doch stattdessen brachte sie lediglich ein gequältes Lächeln zustande, das bewirkte, dass sie nun völlig hilflos wirkte.
    Überhaupt schien man am Grace College selten allein zu sein. Der unheimlichen Stille der ersten Nacht war ein geschäftiges Treiben am Tag gewichen. In den endlosen Gängen und Fluren, in denen sich Julia auch am zweiten Tag noch nicht zurechtfand, tummelten sich die Studenten. Ständig waren die Bibliothek und das Computer Department im zweiten Untergeschoss, kurz CD, besetzt. In den Sporthallen auf dem Campus trainierten diverse Collegeteams. Von Ringen über Baseball bis hin zu Schwimmen wurde hier jede Sportart angeboten. Und die Eingangshalle und die Mensa, die über dem Eingangsbereich lag, schienen Treffpunkt und Gerüchteküche gleichzeitig zu sein.
    Der Jahrgang der Freshmen befand sich nach wie vor in der Orientierungsphase, für viele Fächer gab es Einführungsveranstaltungen, doch einige der Kurse, für die sich Julia eingeschrieben hatte, hatten bereits begonnen.
    Julia bemühte sich, mit dem Strom zu schwimmen. Sie lächelte ständig, sie bedankte sich unaufhörlich und war zu allen so ausgesprochen höflich, dass sie einen Preis verdient hätte. Pflichtschuldig besuchte sie die Seminare und arbeitete gründlich das Handbuch für die Freshmen durch, das Alex ihr in die Hand gedrückt hatte. Sie versuchte sich die Regeln und Verbote zu merken, traf sich mit den anderen aus ihrem Jahrgang in der Mensa und schlang das kanadische Essen hinunter, das ihr im Grunde zuwider war. Und sie gab sich interessiert, wenn Debbie ihr stundenlang von ihren Pflichtkursen und den Wahlfächern erzählte und ständig Vorträge hielt, wie viele Credits man für die einzelnen Veranstaltungen bekam.
    Schließlich trat sie sogar dem Leichtathletikteam bei und joggte in der Gruppe acht Kilometer am See entlang. Ausgerechnet sie und joggen! Was Kristian wohl dazu gesagt hätte! Wie zum Hohn rannte sie so schnell, dass man sie für die Auswahlmannschaft nominierte.
    Doch während sie all das tat, fühlte sich Julia, als ob sie sich in einer quälend langsamen Warteschleife befand. Noch nie war die Zeit so zäh vergangen. Noch nie war sie sich selbst so fremd vorgekommen.
    Im Grunde stand sie diese ersten Stunden am College nur in der Hoffnung durch, dass sie endlich Nachricht bekommen würde, damit Robert und sie das Tal verlassen konnten. Was danach käme, wäre völlig egal.
    Das war der Gedanke, der sie aufrecht hielt und an den sie sich seit dieser ersten furchtbaren Nacht klammerte.
    Ein ums andere Mal sagte sie sich, dass es nun nicht mehr lange dauern konnte und das Warten bald ein Ende haben würde. Sie mussten gesehen haben, dass Julia in der ersten Nacht versucht hatte, sie anzurufen. Sie würden in Kontakt

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