Das Spiel
verrücktspielt.«
Er deutete hinüber zum Green Eye, und Julia wusste sofort, dass sie keine andere Wahl hatten. Der Wind hatte an Heftigkeit zugenommen, fegte nun in rasender Geschwindigkeit über die Wasseroberfläche, um Wellen aufzutürmen, die immer mehr an Kraft gewannen. Robert und David würden sich nicht lange auf dem Felsplateau halten können. Wann auch immer Alex dieses verdammte Boot organisierte, es konnte zu spät sein.
»Worauf warten wir noch?«, schrie sie.
»Okay!« Tom wechselte einen hastigen Blick mit Isabel. Das ältere Mädchen nickte. »Isabel zeigt euch den Weg. Und im Bootshaus gibt es Seile, die nehmt ihr am besten mit. Ich warte hier auf Alex und wir folgen euch.«
»Benjamin, ich brauche deine Taschenlampe.« Chris streckte ungeduldig die Hand aus und Benjamin übergab ihm die Stablampe.
»Wichtig sind viele Jacken und Pullis, um die beiden aufzuwärmen«, sagte Rose. »Ich kümmere mich mit Benjamin und Debbie darum.«
»Wir müssen uns beeilen«, sagte Chris und dann leiser, nur für Julias Ohren bestimmt: »Ich verspreche dir, dass ihm nichts passiert.« Das klang weniger beruhigend als vielmehr beschwörend. Ihr schien, er wollte noch etwas sagen, doch dann brach er ab und folgte Isabel, die schon losgerannt war.
*
Es war, als ob sie durch die Hölle liefen, eine Hölle, die Julia nicht länger fürchtete, denn darüber war sie längst hinaus.
Sie wusste nicht, wie lange sie schon im Wald unterwegs waren. Der Himmel schimmerte nun in einem unwirklichen gelblichen Grau, was bedrohlicher wirkte, als wenn er völlig dunkel gewesen wäre. Eine riesige Wolke schob sich vom Gletscher kommend über das Tal. Sie hatte die Form und die Größe eines mächtigen Raumschiffs. Fast konnte sie Chris und Isabel schon nicht mehr erkennen. Nur ihr Keuchen war zu hören, ihre Schritte auf dem Waldboden, das Knacken von Ästen, wenn sie darauf traten, Steine, die sie im Laufen zur Seite kickten.
Und dann ein dumpfer Schlag. Der Donner überrollte das Tal und im nächsten Moment schien das Raumschiff zu explodieren. Funken sprühten und fielen vom Himmel.
Und immer wieder Bäume. Sie tauchten wie aus dem Nichts auf, stellten sich ihr in den Weg, riefen ihr etwas zu, was sie nicht verstand. Es klang wie: zu spät. Ihr kommt zu spät.
Abermals Donnern. Es war, als schlüge jemand eine gigantische Trommel, um sie voranzutreiben. Und wie seltsam. Sie konnte den See nicht sehen, aber sie konnte ihn hören. Die Wellen schlugen im Takt ihres Herzschlags an die Klippen, die irgendwo rechts von ihnen steil in die Tiefe fielen.
»Halt! Ich glaube, da vorn ist es!« schrie Chris vor ihr.
Im Laufen wandte sie den Kopf zur Seite und sah zu der Felswand hinauf, die sich keine zwanzig Meter vor ihnen auftürmte.
Isabel drehte sich um. Ihr blondes Haar klebte nass an ihrem Kopf. »Du hast recht, Chris. Das ist der Solomon-Felsen. Aber wir müssen erst hoch. Von oben gibt es dann einen Klettersteig zum Wasser hinunter.«
Erneut durchschnitt ein helles Licht den pechschwarzen Himmel, um ihn in zwei Hälften zu spalten. Er fiel in zwei Teile auseinander.
Julia stoppte.
Vorsicht, Lebensgefahr!
Das rote Schild hing an einem Baum, an dem sich rechts vorbei ein schmaler Grat den Felsrücken nach oben wand. Aus den Wolken fuhren mehrere gezackte Linien.
»Los«, keuchte Chris. Er machte sich daran, die Wand zu erklimmen, und in der nächsten Sekunde spürte Julia deutlich, wie das Adrenalin neue Energie in ihr auslöste.
Schritt für Schritt stieg sie nach oben. Isabel war irgendwo hinter ihr. Ihre Hände krallten sich in den Stein, immer wieder musste sie sich nach oben ziehen. Nach wenigen Metern bekam sie vor Anstrengung keine Luft mehr.
Egal. Weiter!
Ihr kam es vor, als ob sie Ewigkeiten brauchte, aber oben auf dem glatten Felsrücken angekommen, gab es kein Halten mehr. Sie rannten auf dem Grat entlang, ohne nach rechts und links zu schauen.
Nackter Stein, wohin das Auge reichte.
Rechts und links hoch aufgetürmte Wellen, die gegen das Ufer schlugen.
Endlich hatten sie und Chris das Ende des Felsrückens erreicht, der vorne spitz zulief wie der Bug eines Schiffes. Dort standen sie für eine Sekunde ganz still und starrten auf das unheimliche Panorama, das sich vor ihnen ausbreitete.
Dort oben der Himmel, wüst wie eine dunkle Vulkanlandschaft. Und hundert Meter unter ihnen der See, der …
»Mein Gott!«
»Was ist?«
Bisher war kein einziger Regentropfen gefallen. Aber trotz der Dunkelheit
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