Klappladen davor war nicht befestigt, sodass er ständig gegen die Außenwand schlug.
Als Julia ihn verriegelte, erkannte sie unten auf dem Rasen vor der Eingangshalle eine Gruppe von Studenten, die heftig miteinander diskutierten. Unter ihnen war Chris, der gerade dabei war, eine Zigarette zu drehen. Und als hätte er ihren Blick gespürt, hob er den Kopf und winkte ihr zu. Dann deutete er auf seine Armbanduhr, streckte beide Hände aus und spreizte alle zehn Finger auseinander.
Was sollte das denn jetzt bedeuten?
Meinte er zehn Minuten? Eigentlich waren sie doch viel später verabredet gewesen.
Egal. Sie nickte und schloss das Fenster. Dann wandte sie sich um.
Der Wind hatte einige Blätter von einem Papierstapel auf Katies Schreibtisch geweht. Julia bückte sich, um sie aufzuheben. Dabei fiel ihr Blick unwillkürlich auf den ausgedruckten Text einer E-Mail. Genauer gesagt auf vier Worte, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließen.
*
Ich kenne deine Geschichte.
Julias Ängste waren keine Paranoia. Sie waren berechtigt gewesen. Fassungslos starrte sie auf den Zettel in ihrer Hand. Seit der Sache mit der SMS hatte sie gewusst, dass jemand im Tal ihr hinterherspionierte. Doch diese Mail veränderte alles.
Denn Julia war nicht Loa.loas einziges Opfer.
Diese Mail hatte denselben Absender wie die SMS, die Julia am ersten Abend per Handy empfangen hatte, obwohl niemand die Nummer kennen konnte.
Loa.loa war also nicht nur hinter ihr her, sondern auch hinter Katie. Und was immer sich hinter diesem kurzen Satz Ich kenne deine Geschichte verbarg, es war ganz offensichtlich als Drohung gemeint.
Julia schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr und überflog die Nachricht erneut.
An:
[email protected] Der Absender lautete
[email protected] und war datiert auf den Tag, an dem das Collegejahr offiziell für die Freshmen begonnen hatte. Katie hatte eine ganz spezielle Begrüßung bekommen, genau wie Julia.
Sie wollte gerade das Blatt auf den Tisch zurücklegen, als ihr Blick auf einen Namen fiel, den Katie mit Bleistift und in ihrer eigenwilligen Handschrift ganz unten am Rand der Mail notiert hatte.
Oh Gott!
Was hatte das zu bedeuten?
Julia ließ das Blatt fallen, flüchtete aus dem Zimmer und rannte hinaus auf den Flur und die Treppen hinunter durch den Seitenausgang ins Freie.
Kurz hinter der Tür prallte sie gegen eine Gestalt. Es war Benjamin. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt und er war leichenblass. Sie starrte ihn an.
»Jemand hat meine Kamera auf dem Gewissen. Hast du eine Ahnung, wer das gewesen sein könnte? Ich schwöre dir, den bringe ich um.«
Sie schüttelte den Kopf und lief einfach an ihm vorbei. Es war nur eine Kamera. Das war nichts gegen die Tatsache, dass Katie herausgefunden hatte, wer Loa.loa war.
*
Der erste Regentropfen fiel, als Julia den Hauptweg entlang nach unten zum See lief. Sie fröstelte in ihrem dünnen Pullover, doch weniger vor Kälte als vielmehr vor Aufregung und Angst.
Angela Finder war Loa.loa.
Angela, die Superhackerin. Angela, die Chefreporterin. Angela, die vermutlich ermordet worden war. Und von der Julia bei der Polizei behauptet hatte, sie hätte so gut wie keinen Kontakt mit ihr gehabt.
Was im Grunde genommen richtig war, aber trotzdem – jetzt hätte sie ein Motiv gehabt, Angela umzubringen. Nur, dass sie es nicht gewesen war.
Aber was war mit Katie?
Katie war als Einzige von ihnen nicht auf der Party gewesen, schoss es Julia durch den Kopf. Sie hatte genug Gelegenheit gehabt, sich mit Angela zu verabreden – ihr vielleicht anzubieten, sie auf die Party zu bringen.
Und dort oben am Hochuferweg waren die beiden dann allein gewesen …
Noch etwas fiel ihr ein. Die Sache mit der Lichtung. Warum war Katie Julia gefolgt? War das nicht auch verdächtig gewesen?
Unsinn! Du fängst an zu fantasieren, rief sie sich selbst zur Ordnung. Wenn es überhaupt Mord war – hätte es jeder sein können. Auf das College gingen schließlich über dreihundert Studenten.
Und trotzdem … Ein Motiv war ein Motiv.
Ihr Herz schien mit ihrem ganzen Körper verkabelt zu sein. Zumindest spürte Julia, wie es überall in ihrem Körper schlug. Sie musste dringend mit jemandem sprechen, der ihre Geschichte kannte!
»Ich würde zehn Prozent meiner Gehirnzellen dafür geben, wenn ich wüsste, woran du gerade denkst.«
Julia schrie erschrocken auf. Es war Chris, der plötzlich in ihrem Blickfeld auftauchte. »Ich wollte gerade zu dir hochkommen«, sagte er und lachte.