Das Spiel
ihre Mitbewohnerinnen wie der größte Teil der Studenten zum Abendessen in der Mensa. Chris, Alex und Benjamin würden vermutlich in Fields essen – und erst spätabends zurückkehren – die Fahrt dauerte schließlich fast zwei Stunden.
Im Supermarkt erstand Julia eine Ansichtskarte, um sich dann ins Starbucks zurückzuziehen. Es war um diese Uhrzeit so gut wie leer. Sie suchte sich einen Platz direkt am Fenster, von dem aus sie sowohl den Parkplatz wie auch den Campus überblicken konnte. Die Adresse fand sie in ihrem Kalender.
William Gold, University of London
Lewisham Way
New Cross
London SE 14 6NW
England, UK
Am Ende entschied sie sich für den Text:
Sind gut angekommen! Und haben viele alte Freunde getroffen – Julia Et Robert.
Sie würden die Nachricht verstehen.
Sie warf die Karte in den Briefkasten vor der Verwaltung und kehrte wieder ins Starbucks zurück. Sie musste lange warten und trank einen Cappuccino nach dem anderen. Vermutlich würde sie die Nacht über aufrecht sitzend im Bett verbringen. Doch kurz nach 22:00 Uhr sah sie endlich den Landrover auf den Parkplatz einbiegen und gleich darauf überquerten Alex, Benjamin und Chris den Campus.
Julia rannte aus dem Café, und erst als die Kellnerin ihr hinterherschrie, fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, ihre Rechnung zu bezahlen.
*
Chris winkte ihr, als er sie kommen sah. Offenbar war er ein bisschen angetrunken, bester Laune und tat so, als hätte es ihren Wortwechsel vom Nachmittag gar nicht gegeben. »Du hättest mitkommen sollen, Julia. Es tat verdammt gut, wieder einmal in der Zivilisation zu sein.«
»Zivilisation nennst du das?«, spottete Benjamin. »Fields ist ein mieses kleines Kaff. Da gibt es weniger Einwohner, als hier oben Studenten leben.«
»Immerhin konntest du eine neue Kamera kaufen«, murmelte Alex. »Legst einfach deine Kreditkarte hin und bekommst, was du willst.«
Benjamin fuhr sich schuldbewusst durchs Haar: »Spätestens wenn mein Alter die Abrechnung sieht, wird er die Karte sperren lassen.«
»Aber du musst zugeben, Alex, das Bier dort unten hat es in sich. Und erst das Steak. Ehrlich, es schmeckte so gut, als hätte ich den Büffel selbst erlegt.«
»Es war nur ein Kalb«, lachte Alex. »Und es wird Zeit, dass ich ins Büro komme. Isabel wird fuchsteufelswild sein, dass ich sie mit der Sprechstunde heute Abend im Stich gelassen habe. Ich sollte mich wenigstens um den Papierkram kümmern.«
Er winkte ihnen zu und verschwand im Seiteneingang, der zu den Apartments führte, während Julia, Benjamin und Chris Richtung Empfangshalle gingen.
Bevor sie das Gebäude betraten, blieb Julia stehen. »Hört mal, ich habe auf euch gewartet. Ich brauche deine Hilfe, Benjamin.«
Chris sah sie aufmerksam an. »Rückst du jetzt endlich damit heraus, was passiert ist? Irgendetwas stimmt doch nicht, oder? Du warst heute Nachmittag so komisch.«
Es war geradezu unheimlich, wie sehr er sie durchschaute.
»Ich muss noch einmal sehen, was Benjamin an dem Abend an der Hütte aufgenommen hat.«
»Wozu?« Wieder war es Chris, der antwortete. »Du kennst doch das Video!«
Julia dachte an das seltsame Gefühl, als sie die Filmaufnahmen zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte. »Mir ist etwas eingefallen.«
»Was denn?«
»Nicht jetzt und nicht hier. Ich muss es euch zeigen.«
»Hast du überhaupt noch den Chip aus der alten Kamera?«, wandte sich Chris an Benjamin.
»Wofür hältst du mich?« Benjamin schüttelte den Kopf. »Am besten sehen wir uns das im Medienraum an. Da gibt es einen großen Bildschirm.«
*
Der See klatschte gegen die Ufersteine, die aus dem Wasser ragten. Sie bildeten ein regelmäßiges Muster, fast so, als hätte sie jemand arrangiert. Doch wenn die Steine aufgeschüttet worden waren, so musste das bereits vor Jahren geschehen sein, denn sie waren moosbedeckt. Schleimig aussehende Wasserpflanzen suchten sich ihren Weg zwischen den Lücken und Julia stellte sich mit einem Schaudern vor, wie eklig sie sich auf nackter Haut anfühlen mussten.
Natürlich waren diese Gedanken unsinnig, und sie kamen auch nur in Julia hoch, weil Benjamin nach unruhigen, wackeligen Filmsequenzen dazu neigte, die Kamera ewig lange auf unscheinbare Details zu halten, bis man es einfach nicht mehr aushielt, dieses Etwas zu betrachten. Es war wie mit der Stille, die man nicht ertragen kann. Um sie zu übertönen, erfindet das Gehör Geräusche, die nicht existieren.
»Oh Mann, Benjamin, geht das immer so weiter? Mir
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