Das Spiel
schlafen ja die Augen ein, wenn ich noch länger auf diese grüne Schlacke glotzen muss«, protestierte Chris.
»Großaufnahmen von Landschaften kann jeder. Aber auf die Details kommt es an! Immer auf die Details!« Dennoch spulte Benjamin nun im Schnelldurchlauf weiter. Erst kamen die Szenen der Party, ihre Ankunft, Alex am Musikpult, Debbie, Chris, der im Wald verschwand, Julia und Robert auf dem Steg.
Dann tauchten die Szenen auf, auf die Julia gewartet hatte. Das Bootshaus, Julia und David, Tanzfläche, Menschengedränge überall. Tom, der auf die Tonne stieg. Robert alleine. Bäume. Bäume. Bäume. Wasser. Wasser. Wasser. Der Weg zum College. Julia starrte auf die Bilder, immer in Erwartung, sie würde gleich auf die Stelle stoßen, die ihr beim ersten Mal aufgefallen war. Die Brücke.
Es wehte kein Wind und dennoch war der See in Bewegung.
»Also, du musst schon ziemlich viel Alk intus gehabt haben«, murmelte Chris. »Deine Kamera hatte verdammt schweren Seegang.«
Benjamin gab keine Antwort.
Julia starrte nach vorne, verfolgte jedes noch so winzige Detail und dann wusste sie es plötzlich: »Da! Halt an! Stopp!«
Sie sprang auf.
Chris starrte auf den Bildschirm. »Was soll das sein?«
»Seht ihr das nicht? Dort am Ufer hinter der Brücke! Kannst du das vergrößern, Benjamin?«
»Da ist nur Wasser!«, bemerkte Chris.
»Eben«, sagte Julia. »Und genau darum geht es!«
Sie machte drei große Schritte nach vorne und deutete auf Luftbläschen, die ganz in der Nähe des Ufers in die Höhe stiegen.
»Und?«
»Seid ihr blind? Die Wasseroberfläche war vorher völlig ruhig, oder?«
»Ja.« Benjamin runzelte die Stirn.
»Woher kommen die Luftblasen? Warum zieht das Wasser plötzlich Kreise? Da stimmt etwas nicht.«
»Julia hat recht.« Chris sah verblüfft hoch. »Ist euch klar, dass wir genau dort Angela gefunden haben?«, murmelte er. »Noch einmal von vorne, Benjamin!«
»Und achtet auf die Uhr!«, sagte Julia.
Der Film fing von vorne an. Das Wasser war aufgewühlt, kam nur langsam zur Ruhe, die Uhr zählte die Filmsekunden. 10:10, 10:11, 10:12, 10:13. Es waren nur noch Kreise zu sehen, die immer kleiner wurden.
Und dann sprang die Uhr weiter. 10:14, 10:16.
»Stopp!«, schrie Julia. »Es fehlt eine Sekunde.«
Für eine Weile herrschte Stille.
»Wie kann das passieren, Benjamin?«, fragte Chris.
»Jemand hat ein Stück herausgeschnitten.«
Chris und Julia starrten sich an. »Geht das so einfach?«, fragte Chris schließlich.
Benjamin wiegte den Kopf. »Wenn man ein bisschen etwas von Technik versteht, schon«, sagte er knapp.
Julia kam ein Einfall. »Vielleicht war es auch kein Zufall, dass jemand deine Kamera kaputt gemacht hat.«
Benjamin zuckte mit den Schultern. »Wozu, wenn schon der Chip manipuliert wurde?«
Julia fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Keine Ahnung!« Sie hatte das Gefühl, dem Geheimnis ein Stück näher gekommen zu sein. Unruhig begann sie, im Raum auf und ab zu laufen. »Wisst ihr auch, was das bedeutet? Es gibt einen Beweis! Einen Hinweis auf Angelas Tod! Auf dem Video war etwas zu sehen, was so wichtig war, dass jemand sich die Mühe gemacht hat, eine Sekunde, eine einzige Sekunde aus dem Film herauszuschneiden.«
Sie fühlte sich euphorisch, ja, das Adrenalin in ihrem Körper veranstaltete geradezu ein Fest, doch wurden ihre Illusionen mit einem Schlag zunichtegemacht.
»Tja, aber was haben wir davon«, fragte Chris mit düsterer Stimme, »wenn der Beweis verloren ist?«
*
Aus dem Apartment der Jungs drang lautes Stimmengewirr – ein Sektkorken knallte.
Debbie riss die Tür der Küche auf, gerade als Chris, Julia und Benjamin in den Vorraum traten.
»Habt ihr es schon gehört? Die Sache ist ausgestanden. Die Polizei hat die Ermittlungen eingestellt und wir haben hier oben wieder Ruhe. Wir wollten euch gerade ausrufen lassen, um zu feiern.«
Julia warf einen Blick in die Küche. Dort standen Rose, David, Katie und Robert und waren dabei, den überschäumenden Sekt in Pappbecher zu füllen.
»Gott sei Dank!« Rose winkte Julia ausgelassen zu. »Meine Eltern wollten mich schon abholen, nachdem überall in den Medien über Angela Finders Tod berichtet wurde. Nur uns hat man tagelang in Unwissenheit gelassen.« Rose’ blaue Augen verdüsterten sich. »Aber egal – ich wäre sowieso nicht nach Hause zurückgekehrt.«
Julia wechselte einen Blick mit Robert. Er war als Einziger in der Küche nicht überschäumend guter Laune. Sicher, vermutlich war er
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