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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Chucks aus und ging mit den Füßen einige Schritte ins Wasser.
    Sie hatte sich innerlich auf die eisige Kälte eingestellt – doch nun stellte sie überrascht fest, dass der See fast warm war. Das Wasser musste eine Temperatur von mindestens achtzehn, neunzehn Grad haben. Konnte sich der See im Laufe der letzten Woche so aufgeheizt haben? Die Sonne hatte oft geschienen, aber Julia hätte ihr nicht solche Kraft zugetraut.
    Eine Weile stand sie unschlüssig da und schaute auf den See hinaus.
    Und je länger sie auf den Horizont starrte, desto weiter drifteten Himmel und Wasser auseinander. Fast so, als biege sich der Lake Mirror in der Mitte auseinander.
    Das war natürlich Einbildung.
    Doch als sie sich umdrehte, um zurück ans Ufer zu waten, stand das Wasser bereits in Höhe ihrer Knie.
    Das Wasser stieg.
    Wie an dem Abend der Party, schoss es ihr durch den Kopf. Nur, dass es heute kein Gewitter gegeben hatte.
    Ein See war, so viel wusste Julia immerhin über Geografie, ein stehendes, und das meinte doch wohl ein unbewegliches Gewässer. Er wurde von Bächen versorgt. Im Falle des Lake Mirror kam das Wasser vermutlich hauptsächlich vom Gletscher des Ghost. Jetzt war Frühling, das Eis schmolz. Es war also nicht weiter ungewöhnlich, dass der Pegel anstieg.
    Aber so schnell? Wie lange war sie mit den Füßen im Wasser gewesen? Sie hatte nicht auf die Uhr geschaut. Nur wenige Minuten, maximal zehn.
    Sie beeilte sich, zurück zum Ufer zu gelangen, wo sie sich sicher fühlte.
    Doch sie blieb nicht auf dem asphaltierten Weg, sondern schlug bei der nächsten Gelegenheit einen Pfad ein, der rechts in den Wald hineinführte.
    Julia brannte darauf, endlich den Umschlag zu öffnen, aber aus irgendeinem Grund wollte sie das nicht in der Nähe des Colleges tun. Das schwarze Dach mit den vielen Schornsteinen, die weißen Balkongeländer und die hellen Gauben des Dachgeschosses waren von hier noch viel zu deutlich zu erkennen, wenn sie auch bezweifelte, dass jemand sie von dort sehen konnte. Außer er besaß ein Fernglas.
    Der Weg stieg rasch an und bald hatte sie eine Höhe erreicht, von der aus sie durch die Bäume das Bootshaus auf der gegenüberliegenden Seite sehen konnte.
    Der Wald hier war lichter als auf dem gegenüberliegenden Ufer – es gab nicht nur Fichten und Kiefern, sondern auch ab und zu Laubbäume. Der Waldboden war mit Moos und dem Laub des vergangenen Herbstes bedeckt. Nicht nur einmal kam sie an einer Holzbank vorbei und nach einer halben Stunde passierte sie eine Lichtung, auf der erst vor kurzem Bäume gerodet worden waren.
    Schließlich gabelte sich der Weg wieder. Ein verwittertes Hinweisschild war an einem Baum befestigt, doch die Farbe der Schrift war zum großen Teil abgeblättert, sodass man nichts mehr erkennen konnte.
    Julia entschied sich für den Weg, der weiter nach oben führte. Die Aussicht wurde jetzt immer spektakulärer. Noch immer konnte man den See durch die Bäume hindurchschimmern sehen – doch zu ihrer Rechten kamen nun die schneebedeckten Gipfel, die sich einer an den anderen reihten, immer klarer zum Vorschein.
    Julia bemerkte den Zaun erst, als sie direkt davorstand, und ihr Blick fiel auf ein kleines Metallschild:
    Electric Fencer
    Vorsicht, Elektrozaun
    Es war kein dichter, hoher Maschendrahtzaun wie der Zaun, der den Sperrbezirk auf der gegenüberliegenden Seite abtrennte. Im Grunde genommen bestand der Zaun lediglich aus ordentlich gespannten Seilen zwischen Holzpfosten – so wie man es von Pferde- oder Kuhweiden her kannte.
    Julia starrte hinüber auf die andere Seite, wo sich unterhalb der Fichten dichtes Gebüsch und hohe Farnsträucher ausbreiteten. Wozu der Zaun? Vielleicht sollte er das Wild davon abhalten, ins Tal zu kommen?
    Das erste Seil war zwei Handbreit über dem Erdboden gespannt, das zweite in ihrer Brusthöhe, das dritte in Kopfhöhe. Man konnte leicht dazwischen durchklettern, was Julia nach kurzem Zögern auch tat.
    Sie ließ den Zaun ohne Probleme, ohne Verletzung, ohne einen Stromschlag hinter sich, nur um auf der anderen Seite festzustellen, dass der Weg nicht weiterführte. Sie wandte sich nach links, wo die Bäume nicht ganz so dicht standen, und suchte sich ihren eigenen Pfad.
    Bald zerkratzten die langen, spitzen Nadeln der Kieferbüsche ihre Haut, aber Julia ging trotzdem weiter. Sie begriff im Grunde selbst nicht, weshalb sie nicht einfach stehen blieb, sich einen Baumstamm suchte, die hier überall herumlagen, und endlich diesen verfluchten Brief

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