Das Spiel
eingefallen war. Er war aus den Waschküchen verbannt worden, weil er dort nur im Weg herumstand — ein Verbrechen, schlimmer als Mord, wenn man die Oberwäscherin reden hörte. »Morgen kannst du mit mir kommen.«
Spatz schien diese Neuigkeit nicht sonderlich zu interessieren; er war ganz darauf konzentriert, sie die letzten paar Schritte zu ihrer Schlafstatt zu ziehen. Dort, mitten auf den Decken, in einem Nest aus Holzspänen und -splittern, saß wie der sagenhafte Phönix ein leicht unregelmäßig geratener, geschnitzter Vogel — ein Spatz, wie sie auf den zweiten Blick erkannte. Spatz zeigte auf das Schnitzwerk, kramte dann das kleine Messer, das er in Axamis Dorzas Haus gestohlen hatte, unter den Holzspänen hervor und präsentierte es ihr ebenfalls stolz.
»Du hast diesen Vogel geschnitzt? Der ist wirklich schön.« Doch sie konnte ein Stirnrunzeln nicht unterdrücken. »Es wäre nur besser gewesen, du hättest es nicht auf dem Bett gemacht. So werde ich heute Nacht in Holzsplittern schlafen.«
Er sah sie so gekränkt an, dass sie sich bückte und den Vogel in die Hand nahm, um ihn genauer zu betrachten. Als sie ihn umdrehte, sah sie, dass er auf der Unterseite voller Eifer ihren Namen (oder jedenfalls seine kindliche Version davon) in xixischen Lettern eingeritzt hatte — »Qinatan«. Rührung kollidierte mit der Angst, die es auslöste, einen Gegenstand mit ihrem richtigen Namen gekennzeichnet zu sehen, und wenn es nur die unbeholfene Schnitzerei eines Kindes war. Yazi und Soryaza waren nicht die einzigen Frauen hier, die xixisch sprachen, und vielleicht gab es ja auch welche, die es lesen konnten. Sie hatte schon genügend Probleme, auch ohne dass Leute Fragen stellten.
»Er ist wunderschön«, flüsterte sie. »Aber du musst dran denken, dass ich hier Nira heiße, nicht ... nicht anders. Und du bist Nonem, du weißt doch?«
Diesmal wirkte er weniger gekränkt als zerknirscht, und sie konnte nicht anders, als ihn an sich zu ziehen und fest zu drücken. »Nein, wirklich, er ist so schön. Aber gib ihn mir bitte mal kurz. Und das Messer auch.« Sie küsste ihn auf den Scheitel, schnupperte den seltsamen Jungengeruch seines Schweißes und blickte sich dann um. Mehrere Frauen zu beiden Seiten schauten her. Sie lächelte und zeigte ihnen das Kunstwerk, dann nahm sie es mit zu den Abtritten auf der anderen Seite des Schlafsaales. Sie setzte sich in eines der kleinen Abteile dort, das so sehr nach Stallabteil aussah, dass es bestimmt einmal eins gewesen war, und als sie sich sicher war, dass niemand sie sah, nahm sie das Messer und schabte die kindlichen Buchstaben von der Unterseite des Vogels ab.
Auf dem Rückweg blieb sie bei einer anderen Dienstmagd stehen, um sich von ihr einen Spiegel zu leihen. Dafür gab sie der Frau den runden Klumpen Seife, den sie aus Resten in der Waschküche zusammengeknetet hatte. Der Spiegel war so groß wie Qinnitans Hand und hatte einen schartigen Rahmen aus Schildpatt.
»Aber bring ihn mir vor dem Schlafengehen zurück«, ermahnte die Frau Qinnitan.
Sie nickte. »Nur ... für Haare«, sagte sie in ihrem gebrochenen Hierosolinisch. »Bringe gleich zurück.«
Als sie wieder bei ihrer Lagerstatt ankam, sah sie, dass Spatz sich alle Mühe gegeben hatte, die Spuren seiner Schnitzerei zu beseitigen. Sie setzte den hölzernen Vogel auf das leere Fass, das sie gemeinsam mit ihrer Nachbarin als Tisch benutzte, und borgte sich von dieser noch einen Kamm. Zum Glück wollte das Mädchen nichts dafür.
Qinnitan hielt den Spiegel auf ihren Knien und musterte ihr Spiegelbild. Zu ihrem Entsetzen sah sie, dass ihr widerspenstiges Haar schon wieder unter dem Kopftuch hervorlugte, genau dort, wo die rote Strähne war. Als ob sie noch nicht genügend Spuren in der Zitadelle zurückgelassen hätte! Sie kam jetzt nicht mehr an die Schönheits- und Haarfärbemittel, die die Frauen im Frauenpalast benutzt hatten, deshalb hatte sie versucht, die feuerrote Strähne mit Ruß von Kerzen und von den Waschküchenfeuern zu überdecken, aber bei der Arbeit in dem feuchtheißen Raum konnte das nicht lange halten. Sie musste sich ein größeres Tuch beschaffen oder sich die Haare ganz abschneiden. Etliche der älteren Frauen hier trugen das Haar ganz kurz, vor allem, wenn sie jenseits des gebärfähigen Alters waren. Vielleicht würde ja niemand etwas dabei finden, wenn sie es auch tat ...
»Nira, richtig?«, fragte eine raue Stimme.
Erschrocken sah Qinnitan auf und stopfte hastig ihr Haar unter
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