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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Kopf schwirrt. Sie blickte sich um und sah zunächst nur die anderen Wäscherinnen und sonstigen Bediensteten auf dem Weg zu den äußeren Toren oder zu ihren engen Schlafquartieren innerhalb der Zitadelle selbst. Doch dann bemerkte sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung, dort wo die frisch entzündeten Fackeln die Kolonnaden erhellten, ein vages Huschen, quer zur Richtung des Menschenstroms. Sie drehte sich ganz um. Sie war sich sicher, dass da gerade jemand in den Schutz des Säulengangs zurückgewichen war.
    »Lass das, Nira«, sagte Yazi. »Ich bin so müde, dass meine Füße brennen. Komm weiter, ja?«
    Qinnitan ging weiter, drehte sich aber nach wenigen Schritten wieder um. Ein Mann folgte ihnen hinter den Säulen, und obwohl er nicht herschaute, glaubte sie doch erkannt zu haben, wie er ganz kurz zögerte, dann aber weiterging, so als hätte er blitzschnell befunden, dass es zu spät war, sich wieder unsichtbar zu machen.
    Qinnitan zeigte in den Himmel über der Echopromenade, der vom letzten Sonnenlicht rot gemasert war, und sagte: »Ist das nicht schön, all die Farben!« Während sie diese kleine Vorstellung gab, musterte sie den Mann, so genau sie konnte. Er war unauffällig und schäbig gekleidet — wie irgendein niedriger Bediensteter — und vom Aussehen her wohl ein Nordländer, mit jenem glanzlos braunen Haar, das, wie Qinnitan inzwischen wusste, nördlich von Hierosol fast so normal war wie schwarzes Haar in Xand. Im Weitergehen mied er geflissentlich ihren Blick, und Qinnitan drehte sich wieder zu Yazi um.
    »Was meinst du? Den Sonnenuntergang?«, fragte Yazi. »Wenn deine Gedanken noch weiter davonstreunen, musst du ihnen Glöckchen umbinden wie Ziegen.«
    Als Qinnitan sich wieder umblickte, war der Mann in der Menge verschwunden. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Selbst Yazi traute sie plötzlich geheime Abgründe zu.
    Als sie das Schlafquartier betraten, kam Spatz auf sie zugerannt, so freudig wie ein junger Hund. Er umarmte Qinnitan und fasste sie dann an der Hand, um sie zu ihrer gemeinsamen Schlafstatt zu ziehen, wobei er mit dem freien Arm aufgeregt winkte. Er hatte ihr einiges von der Zeichensprache beigebracht, die er im Obstgartenpalast mit den anderen stummen Sklavenjungen gesprochen hatte, aber in solchen Momenten machte er sich nicht die Mühe, sich mit subtileren Mitteln auszudrücken, und das war auch nicht nötig. Einige ältere Frauen sahen auf, als er Qinnitan durch den Gang zwischen den schmalen Holzpritschen schleppte. Ein paar lächelten duldsam, weil sie an eigene Brüder oder Kinder dachten, aber die meisten blickten einfach nur unwirsch drein, weil sie nach einem langen, schweren Arbeitstag noch mit der unerschöpflichen Energie eines Kindes konfrontiert wurden. Es war seltsam, wieder unter so vielen Frauen zu leben — fast hundert waren es allein in diesem Schlafquartier, und es gab auf dieser Seite der Festung noch mehrere solcher Gebäude. Es war alles so vertraut, die gleichen rasch aufkeimenden Freundschaften, Rivalitäten und Hassbeziehungen, als ob jemand die Frauen aus dem Frauenpalast des Autarchen genommen, in dreckige, schweißfleckige Kleider gesteckt und dann in dieser tristen Halle abgesetzt hätte, die einst der Marstall eines hierosolinischen Königs gewesen war. Die Frauen hier waren nicht so hübsch und nicht so jung — viele waren schon Großmütter —, aber ansonsten unterschied sich ihr neues Zuhause nicht sehr von jenem und auch nicht vom Bienentempel, wo sie davor gelebt hatte.
    Käfige,
dachte sie.
Warum fürchten uns die Männer so sehr, dass sie uns alle miteinander einsperren und von sich getrennt halten müssen?
Hierosol war zwar besser als Xis, aber auch hier gab es strenge Regeln, um Männer fernzuhalten, selbst die Ehemänner der verheirateten Wäscherinnen. Nur weil Soryaza sich bei der Aufseherin des Schlafquartiers dafür eingesetzt hatte, war Spatz hier ebenfalls untergekommen, und mit ihm gab es in diesem Quartier nur etwa ein Dutzend Kinder, zumeist noch im Krabbelalter, die tagsüber in der nachlässigen Obhut zweier für die Arbeit zu alt gewordener Waschfrauen zurückblieben. Die beiden Greisinnen suchten sich jeden Morgen das sonnigste Plätzchen im Schlafsaal, saßen dann dort wie Eidechsen und unterhielten sich murmelnd, während die Kleinen sich mehr oder minder allein durchschlugen.
    »Soryaza sagt, sie hat wieder Arbeit für dich«, erklärte sie Spatz, weil es ihr über diesen Gedanken plötzlich wieder

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