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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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ahnungslos, spürte aber, obwohl ihn der graue Mann nicht berührte, wie eine Kraft an dem Spiegel in seiner Hemdtasche zog. Ein heftiger Schmerz brannte in seiner Brust, als ob der Spiegel Wurzeln in sein Fleisch und seine Knochen getrieben hätte und man ihn nicht mehr entfernen könnte, ohne einen großen Teil von Barrick selbst mit wegzureißen. Er schrie, aber der graue Mann verzog keine Miene; bis auf die Mondsteinaugen hätte Ueni'ssoh eine granitene Statue sein können.
    Barrick hielt den Spiegel durchs Hemd fest, aber eine seltsame Mattigkeit überkam ihn. Wozu Widerstand leisten? Dieses Geschöpf, dieser glatte graue Dämon, war stärker, als er jemals sein würde —
so viel stärker ...
    »Nein!« Diese einlullende Stimme in seinem Kopf kannte er. Es war nicht seine eigene, sondern die des grauen Mannes. »Ich werde nicht ...!«
    Ein Lächeln huschte über die steinernen Lippen. Die Kraft, die an dem Spiegel zog, schien Barricks Innerstes nach außen zu kehren. Ueni'ssoh kniete über ihm, die Hand jetzt eine Unterarmlänge über Barricks Brust. »Doch, das wirst du, Sonnländer — natürlich wirst du. Und wenn ich dieses geheimnisvolle Ding in Händen halte, werde ich wissen, warum Einauge sich so für dich interessiert hat ...«
    »Ihr werdet ihn nicht ...!« Aber es war nur noch ein Keuchen. Er konnte sich der Kraft des grauen Mannes nicht widersetzen. Er würde den Spiegel verlieren, würde alles verlieren.
    »Hör auf, dich zu wehren«, sagte der Traumlose. Er biss die Zähne zusammen, und Barrick bemerkte plötzlich, dass auf Ueni'ssohs aschfahler Stirn Schweiß stand.
    Aber ich wehre mich doch gar nicht,
dachte Barrick.
Ich wüsste doch gar nicht wie, nicht gegen einen wie ihn.
Trotzdem, irgendetwas leistete der Kraft des grauen Mannes Widerstand — irgendetwas hielt den Traumlosen auf Abstand.
    Auf einmal breitete sich Wärme in Barrick aus. Es war der Spiegel selbst, der diese Kraft entfaltete, noch während Ueni'ssoh sich seiner zu bemächtigen versuchte. Ein Lichtkranz bildete sich jetzt um sie beide, warm und fast so hell wie die Sonne, so intensiv, dass Barrick aufschrie, obwohl es ihm nicht wehtat. Als das Licht sich explosionsartig ausdehnte, kreischten die Wächter allesamt auf und wichen zurück, die krallenbewehrten Hände schützend vor den Augen. Gleich darauf fiel das Licht in sich zusammen, aber Barrick spürte es immer noch, ein Prickeln wie von lauter Funken auf seiner Haut. Noch jemand heulte jetzt auf. Wie eine Spinne, die eine mörderische Riesenwespe in ihrem zarten Netz gefangen hat, versuchte Ueni'ssoh, den Kraftfluss zwischen ihnen zu unterbrechen — Barrick spürte die wachsende Panik des grauen Mannes, konnte sie fast schon riechen oder auch hören wie ein schrilles Geräusch —, aber der Spiegel oder das, was ihm diese Kraft verlieh, ließ den Traumlosen nicht los.
    »Nein!«, schrie der graue Mann und versuchte aufzustehen, doch etwas Unsichtbares hielt ihn fest, und er zuckte und zappelte wie ein lebender Fisch, den man auf einen heißen Stein geworfen hat. Die Augen quollen ihm hervor, und seine Muskeln krampften unter der papierdünnen Haut. Gleich daraufsprossen ihm große schwarze Blutmale auf Gesicht, Hals und Händen. Die monströsen Wächter, die immer noch schrien und heulten, weil sie das grelle Licht so schmerzhaft geblendet hatte, stolperten in alle Richtungen davon und krallten panisch aufeinander ein, nur um irgendwie dem immer helleren Gleißen zu entkommen, das zwischen Barricks Brust und Ueni'ssohs weiterhin ausgestreckter Hand pulsierte.
    Dann fing der graue Mann Feuer.
    Ueni'ssoh schnellte hoch und hopste kreischend auf der Stelle, während die Glut gierig nach seinem Arm griff und sich dann in seine Brust fraß. Seine Augen brannten in ihren Höhlen. Sein offener Mund spie Feuer. Die Wächter flohen brüllend aus der großen Vorhalle, zurück in die dunklen Stollen der Mine.
    Als Barrick wieder hinsah, war der graue Mann nur noch ein zischendes, zuckendes, verkohlendes Etwas. Der Junge wandte sich entsetzt ab und kroch im verzweifelten Drang, endlich ans Tageslicht zu gelangen, über die mit Pfeilen gespickte Leiche seines Dragführers hinweg.
    Draußen blickte er verwirrt auf das enge Tal hinab, das sich am Fuß der Treppen erstreckte. War er wirklich frei? Was war geschehen? Hatte
er
den grauen Mann irgendwie vernichtet? Das glaubte er nicht — es war der Spiegel gewesen, der sich selbst verteidigt hatte. Aber er hatte sich doch nie geregt, bis

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