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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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der graue Mann sich seiner hatte bemächtigen wollen. Hätte er zugelassen, dass sie ihn, Barrick, töteten, wenn es dem grauen Mann nicht um den Spiegel gegangen wäre? Barrick wusste es nicht und wollte es auch überhaupt nicht herausfinden.
    Er brach die hervorstehende Pfeilspitze ab und zog den Pfeil aus dem Stiefelleder, das von dem Blut aus seinem verletzten Knöchel ganz schlüpfrig war. Dann humpelte er die Stufen hinunter und auf flaches Gelände hinaus — auf das Ende der Straße, der sie als Gefangene hierher an diesen schrecklichen Ort hatten folgen müssen, wie viele Tage oder gar Monate das auch her sein mochte. Nur noch ein kurzes Stück musste er sich weiterquälen, dann wäre er den Minenwächtern entkommen, falls ihm überhaupt welche gefolgt waren.
    Das Zwielicht schien ihm, so schwach es auch war, nach all den Tagen unter der Erde blendend hell, und so bemerkte er zunächst nicht, dass einige der riesigen Statuen vor ihm zitterten, bis eine ins Schwanken geriet, kippte und mit einem ohrenbetäubenden Krachen, das ihn fast umwarf, auf dem Boden aufschlug. Zwei weitere Statuen fielen um, als der Erdboden vor ihm in riesigen, bröckelnden Schollen aufbrach und eine mächtige Gestalt hervorfuhr.
    Zuerst dachte Barrick in müdigkeitsstumpfem Entsetzen, es sei eine unglaublich große Spinne aus der Tiefe, haarig, mit missgestalteten, leichenfarbenen Beinen und von glänzenden Sekreten triefend. Aber die Gliedmaßen standen in unmöglichen Winkeln vom Körper ab, einige zerschmettert und mit halb abgelöster Haut, alle jedoch rauchend und tropfend wie geschmolzenes Kerzenwachs, als wäre das ganze Etwas eine alptraumhafte Kreuzung aus einem Seeigel oder einer Qualle und einem zermetzelten Tier. Dann sah er schließlich, zwischen zwei Gliedmaßen hängend, das enthäutete Gesicht, aus dem golden leuchtendes Götterblut quoll. Die Schreckgestalt, die ihm den Fluchtweg abschnitt, hatte noch immer ein paar versengte Bartsträhnen um das Schlundloch mit den verwüsteten Zähnen, und das eine riesige Auge mit dem irren Blick.
    Du verdammter kleiner Haufen Dung.
Der Unterkiefer des Halbgottes war zerschmettert und sabberte etwas hervor, das an geschmolzenes Metall erinnerte, weshalb Kituyiks physische Stimme nur noch ein unverständliches Gurgeln war. Die Worte waren nur in Barricks Kopf, aber trotz der zahllosen Verletzungen des Halbgottes von solcher Gewalt, dass Barrick taumelte und beinah in die Knie brach.
Hast gedacht, ich wäre tot, was? Aber so leicht sind wir Unsterblichen nicht umzubringen ...!
    Barrick wankte zur einen Straßenseite hin und betete, dass er es schaffen würde, an dem riesigen, verstümmelten Etwas vorbeizukommen, doch trotz der grässlichen Verletzungen bewegte sich der Halbgott so behände wie ein Krebs auf den gebrochenen Gliedmaßen seitwärts, um dem Jungen den Weg zu verstellen.
    Nicht so schnell, Menschenknabe. Dein Blut wird mir Zugang zum Haus des Gottes verschaffen, und dann werde ich wieder heil und gesund sein. Das hier ist nur ein kleines Ärgernis.
    Barricks Kopf schien so schwer, dass er ihn nicht mehr aufrecht zu halten vermochte. Er kam nicht an diesem Monstrum vorbei, und bezwingen würde er es auf keinen Fall. Zurück konnte er auch nicht. Er war erledigt.
    Es sei denn ...
    Barrick Eddon griff in seine Hemdtasche und zog den Spiegel hervor. Einen Moment fühlte er ihn warm in seiner Hand, fühlte, wie er wieder die Kraft zu verströmen begann, mit der er den grauen Mann vernichtet hatte, als dieser ihn an sich nehmen wollte, doch Kituyik hob plötzlich eine gespreizte, zertrümmerte Hand — jedenfalls sagte sich Barrick, dass es wohl eine Hand sein musste —, und das gerade erblühende Licht erstarb jäh.
    Was auch immer das ist,
polterte Kituyik,
es ist meiner Macht nicht gewachsen, Sterblichenknabe.
Sein eines blutunterlaufenes Auge vermochte keinen Ausdruck mehr zu zeigen — dafür war das gesamte Gesichtsfleisch viel zu verwüstet —, aber Barrick spürte die Selbstzufriedenheit, ja sogar Belustigung des Halbgotts. Und er wusste auch, dass Kituyik recht hatte — der Spiegel war jetzt kalt und tot.
Schließlich fließt das Blut der mächtigen Götter in meinen Adern ...!
    Etwas fiel vom Himmel und verdeckte für einen Augenblick das Gesicht des Halbgottes wie ein lebender schwarzer Schatten. Kituyik stieß einen erschrockenen Schmerzensschrei aus, der Barrick durchs Gehirn führ und ihn in die Knie zwang. Als er wieder stand, sah er, dass der schwarze

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