Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
einen Treppenabsatz erreichte, der vom unsteten Schein zweier blakender Fackeln notdürftig erhellt war, kam aus einem der Seitenstollen eine kleine Gestalt geflitzt. Das gedrungene, menschenähnliche Geschöpf entdeckte ihn, machte kehrt und wollte davonjagen, aber mit einem schnellen Schritt — der ihn selbst fast so sehr überraschte wie das Wesen — packte er es mit der gesunden Hand am wirren, fettigen Haar. »Hiergeblieben, oder ich töte dich«, rief er. »Verstehst du meine Sprache?«
    Es war ein Drag, so wie der, der den brennenden Wagen gefahren hatte, winzig und verwachsen, mit wild wuchernden Augenbrauen, einer breiten, zwiebeiförmigen Nase und einem verfilzten Bart, der den größten Teil seines Gesichts bedeckte. Er war kräftig für seine Größe, aber Barrick hielt ihn immer fester, je heftiger er zappelte. Er zog ihn zu sich und setzte ihm die gefundene Klinge ans Gesicht, sodass er sie unmöglich übersehen konnte. Er musste sich sehr zusammennehmen, um dem Geschöpf nicht zu zeigen, welche Schmerzen es ihm bereitete, die Klinge auch nur in der verkrüppelten Hand zu halten.
    »Kein Args!«, rief es mit gleichzeitig rauer und schriller Stimme. »Kein Args!«
    Er brauchte einen Moment. »Ich ... ich soll dir kein Arg tun?« Er beugte sich näher an das Wesen heran und funkelte es an. »Komm ja nicht auf dumme Gedanken, Freundchen. Ich will nach draußen, aber ich finde nicht an die Oberfläche — ans Licht. Wo ist das Licht?«
    Der kleine Mann starrte ihn eine ganze Weile an, nickte dann. »Im Wurzelsmannsneste bist — in unsrem Dragsheim. Hoch im Berge bist, mit Höhlen über Höhlen, verstehst? Falscher Weg zur Tagsglut.«
    Wenn er sich bemühte, konnte er es einigermaßen entschlüsseln. Er kletterte also im eigentlichen Berg herum — kein Wunder, dass er nicht an die Oberfläche gefunden hatte! Er war erleichtert — aber wenn das Wesen das trübe Licht der Schattenlande als »Tagsglut« bezeichnete, dann wünschte er ihm, dass es niemals das echte Tageslicht jenseits der Schattengrenze ertragen musste.
    »Wie komme ich heraus? Heraus an ... an die Tagsglut?«
    »Dort längs.« Der Drag wand sich sachte, und Barrick lockerte seinen Griff. Das Wesen drehte sich um und deutete mit einem stummeligen Finger mit gesprungenem Nagel. »Dorten.«
    Barrick übernahm die Klinge dankbar mit der gesunden Hand. »Sehr gut. Führe mich.«
    »Lässt mich drauf frei?«
    »Wenn du mich an die Tagsglut führst, ja, dann lasse ich dich frei. Wenn du aber wegzulaufen versuchst, ehe wir dort sind, dann ersteche ich dich hiermit!« Er hatte genug von Blut und Gemetzel, wollte aber auch nicht den Rest eines kurzen, elenden Lebens hier in diesen Höhlen verbringen.
    Barrick wusste nicht, ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, dass die Stollen immer verlassener wurden, je weiter ihn die Kreatur führte. Zuerst gingen sie vorwiegend horizontal, durch Räume, die offenkundig bestimmten Zwecken dienten. Die meisten waren Lagerhallen, voll mit kaputtem Grabwerkzeug, zerdellten, leeren Erzeimern, beschädigten Loren, die auf ihre Reparatur warteten, Seilen und anderen Ausrüstungsgegenständen. Es gab da aber auch Dinge, deren Gebrauchszweck weniger offensichtlich war — Haufen von etwas, das aussah wie gebrannte Tonscherben mit eingeritzten Zeichen, leckende Fässer und Säcke mit verschiedenfarbigem Pulver. In einer Kammer war es so kalt und neblig, dass er zunächst glaubte, es ins Freie geschafft zu haben und in ein grimmiges Winterunwetter geraten zu sein. Erst nach einigen Schritten begriff er, dass sie immer noch tief unter der Erde waren und die bis ins Mark dringende Kälte daher rührte, dass der Raum voller hoher Stapel von Schnee- oder Eisblöcken war. Aber wozu? Und wo kam so etwas her?
    Die erste Frage beantwortete sich kurz darauf, als er erkannte, was da, von Nebel umhüllt, an den Wänden lagerte: Leichen, aber es war schwer zu sagen, welcher Art, denn sie waren in Viertel zerlegt, als wären da ausgebildete Metzger am Werk gewesen. Entsetzen packte ihn. Was war das für ein Wahnsinn? Mit zitternder Stimme fragte er den Drag, aber der konnte nur die Achseln zucken.
    War es Fleisch? Aber von den Gefangenen hatte keiner je welches bekommen, und es schien auch nicht genug Wächter zu geben, um so einen riesigen Vorrat zu rechtfertigen: Die auf Eis gebetteten Leichen stapelten sich rings um den großen Raum wie Feuerholz. Und wo kam das ganze Eis her? Draußen war es kalt gewesen, regnerisch und

Weitere Kostenlose Bücher